Es war im Februar 2017, als ich bei Facebook ein kleines Bild von einem Staffmix sah.
Er befand sich in Zypern in einer Tötungsstation, und es wurde dringend ein Pflege- oder Endplatz für ihn gesucht. Er litt in seinem kleinen Zwinger, aus dem er kaum herauskam. Knapp vier Jahre alt und seine Augen spiegelten Verzweiflung.
Sein Bild rührte mich tief an und am liebsten hätte ich "Hier - er kann zu uns" geschrieben. Aber das wäre völlig unvernünftig gewesen. Wir hatten zu dem Zeitpunkt 4 Hunde, von denen einer - unser Smutje - schwer krank war und alle Aufmerksamkeit brauchte. Er hatte Krebs und keiner wusste, wie lange er noch bei uns bleiben wird. Also klickte ich das Bild weg, aber ich musste immer wieder an den Hund denken und fragte mich oft, was aus ihm wohl geworden sei.
Zweieinhalb Monate später hatte sich bei uns viel verändert. Smutje war gegangen und ebenso unsere kleine alte Meg-Meg, wobei das bei ihr unerwartet kam und es nur 7 Tage mit einem erfolglosen Behandlungsversuch dauerte. Nun hatten wir "nur" noch Krümelchen und Paco.
Da der Hund aus Zypern mir immer noch durch den Kopf ging, suchte ich nach ihm in der Hoffnung, dass er noch lebte. Es dauerte Stunden, weil ich ihn nicht abgespeichert hatte und nicht mehr genau wusste, wo ich ihn gesehen hatte. Aber dann hatte ich den Beitrag wieder gefunden und schrieb sofort hin. Mein Mann und ich boten an, ihn zu uns nach Luxemburg zu holen, wenn er mit Hunden und Katzen kompatibel ist.
Die Antwort kam schnell: Der namenlose Hund ist mit allen Hunden verträglich und man könne einen Katzentest machen, wenn wir Interesse hätten. Das wollten wir natürlich. Zwei Tage später kam die vernichtende Antwort: "Kann keinesfalls zu Katzen."
Die Tierschützer hatten ein sehr kurzes Video angehängt, auf dem sie den ebenso kurzen Katzentest gefilmt hatten. Meinem Mann und mir erschien das Video aber kein Beweis zu sein, dass er nicht mit Katzen leben könnte. Also schrieben wir zurück und baten um einen zweiten, längeren Test.
Dazu waren die Tierschützer glücklicherweise bereit und nicht nur das: Sie liessen den Katzentest von einer Hundetrainerin mit viel Kompetenz und Erfahrung durchführen. Ergebnis: Die Hundetrainerin fand ihn durchaus geeignet, mit Katzen zu leben. Auch diesmal bekamen wir das Video und fühlten uns durch das Verhalten vom Hund und der Aussage der Hundetrainerin bestätigt, die zudem auch noch Deutsch sprach.
Wir mailten sie an und baten sie, sich bis zur Ausreise um ihn zu kümmern, wozu sie gerne bereit war. Schon am nächsten Tag sollte er kastriert werden, weil das eine Bedingung für seine Einreise in Luxemburg ist. Er musste dann noch geimpft und gechipt werden und wir mussten die Einreise beantragen. Das alles sollte nicht allzu lange dauern.
Wir entschieden uns, ihn Kalle zu nennen.
Am nächsten Morgen bekamen wir einen recht verzweifelten Anruf von den Tierschützern: Vor der Kastration hatten sie Schnelltests auf Mittelmeerkrankheiten machen lassen und Kalle war sowohl Leishmaniose- und Ehrlichiose-positiv. Ob wir ihn trotzdem noch wollen?
Natürlich.
Kalle überstand die Kastration recht gut, aber seine Leishmaniose-Werte waren eine Katastrophe. Ein paar Tabletten reichten nicht aus. Er brauchte eine nebenwirkungsreiche, schwere Therapie. Seine Hundetrainerin übernahm das Füttern mit gutem Futter, zudem war er aus der Tötungsstation in eine Hundepension umgezogen, in der sich mehr um ihm gekümmert wurde.
In der Therapie wurde er schwer krank. In der Tierklinik stellten sie fest, dass er ein akutes Nierenversagen hatte. Er wurde mit Infusionen behandelt in der Hoffnung, dass die Nieren wieder anspringen. "Kalle, nicht aufgeben, bitte!"
Er gab nicht auf und die Nieren sprangen wieder an. Er überstand die Therapie und seine Leishmaniosewerte sanken so gut, wie es keiner für möglich gehalten hätte. Die Ehrlichiose wurde auch behandelt und war ausgeheilt. Ihm ging es besser und besser und die Hundetrainerin nutzte die Zeit, um mit ihm zu arbeiten. Er wollte nur gefallen und lernte sehr schnell.
Ende Juli waren alle Behandlungen beendet; wir hatten die Einreiseerlaubnis und er konnte endlich kommen.
Er hatte sich in der Zeit sehr an seine Hundetrainerin gebunden, und wir wollten ihm den Umzug so stressfrei wie möglich gestalten. Also flog seine Hundetrainerin mit ihm und verbrachte noch zwei Tage bei uns.
Als das Flugzeug ankam, standen mein Mann und ich schon eine Stunde am Ankunftsgate. Und dann kamen sie nach einem Nachtflug mit Umsteigen. Die Hundetrainerin schob eine grosse Box auf dem Gepäckwagen. Nach einer kurzen Begrüssung gingen wir nach draussen und liessen Kalle aus der Box.
Er wedelte freundlich, nahm unsere Leckerli, trank ein bisschen Wasser und wirkte etwas verunsichert, aber auch neugierig und keinesfalls panisch. Die Stunden im Flugzeug hatte er offensichtlich gut überstanden und wir hatten damit eine Sorge weniger. Es stand allerdings noch die Zusammenführung mit unseren Hunden bevor.
Die fand auf einem grossen Feld in der Nähe unseres Hauses statt. Nachdem Kalle sich ausgiebig gelöst, getrunken und gefressen hatte, holten wir Paco und Krümel. Es funktionierte vom ersten Moment an traumhaft gut. Man mochte sich sofort. Abends lag Kalle mit den anderen schon auf der Couch. Nachts schlief er bei uns im Schlafzimmer.
Die Hundetrainerin hielt sich eher im Hintergrund. Als sie wieder abflog, war er kurz irritiert, als sie ging, fand es aber okay.
In der nächsten Zeit lernten wir sein schönes Wesen immer besser kennen und konnten kaum glauben, wie lieb er ist.
Mit Paco entstand eine Männerfreundschaft, und Kalle hat durch seine Lebendigkeit und Spielfreude Paco noch mal in einen Jungbrunnen gekippt.
Krümel fand den grossen Freund vom ersten Moment an klasse. Die Katzen dürfen an eng an seinem Kopf schlafen. Den Wesenstest hat er natürlich mit Bravour bestanden und die Prüfer fanden ihn toll.
Anfangs gab es aber auch Momente, in denen man merkte, dass er eine schwere Zeit hinter sich hatte.
Es passierte oft, dass er auf dem Sofa tief schlief und durch eine Bewegung auf dem Sofa hochschreckte. Er gab eine Mischung aus lautem verzweifelten Jaulen und Knurren von sich und schnellte dabei herum in Richtung Störung. Sein Blick wirkte weit weg. Wir trösteten ihn mit einem "Alles gut, Kalle" und legten die Hand auf ihn. Er entspannte ganz langsam und legte sich wieder ab.
Im Laufe der Zeit wurde das weniger und er kam auch schneller wieder zur Ruhe. Mittlerweile können wir ihn ohne Reaktion im tiefen Schlaf ein bisschen zur Seite schieben, wenn er sich gar zu breit macht.
Als er ein halbes Jahr da war, stellten wir fest, dass irgendwas an seinem Gangbild nicht stimmt. Natürlich musste er erst Muskulatur aufbauen nach 4 Jahren Zwinger. Denn auch beim Vorbesitzer hatte er nur in einem kleinen Zwinger gesessen, bis dieser keine Lust mehr hatte und ihn in der Tötung entsorgte. (Da hoffe ich auf Karma.)
In der Tierklinik wurden viele Untersuchungen gemacht, und das Ergebnis war nicht wirklich gut:
Er hat HD und Cauda Equina. Das wird wohl irgendwann mal ein Problem werden, aber im Moment geht es ihm gut und er geniesst sein Leben. Seine Lebensfreude ist ansteckend, wenn er über die Felder saust und mit weit heraushängender Zunge, die sich vorne rollt, über das ganze breite Gesicht lacht.
Kalle liebt Körperkontakt, und abends auf dem Sofa kann es nicht eng genug sein. Er lässt den leicht grössenwahnsinnigen blinden Krümel machen, wenn dieser seine Pfoten in sein Gesicht haut und spielerisch knurrend nach ihm hapscht und setzt sich dabei sogar hin, damit Krümel besser ran kommt.
Er wickelt in seiner anrührenden, bescheidenen und freundlichen Art alle, die ihn kennen lernen, um den Finger.
Wenn er mal mit Krümel allein ist und wir nach Hause kommen, hat er eine witzige Art, seine Freude zu zeigen. Er nimmt sich einen Schuh aus dem Schuhregal neben der Haustür, rennt hin und her und schlenkert sich den Schuh um die Ohren, bis wir ihn abtauschen.
Deswegen ist unser Schuhregal nun zweigeteilt: Kalle nimmt nur aus den beiden unteren der 4 Etagen. Deswegen stehen unten alte Schuhe für ihn und oben stehen unsere sicher.
Leider hat er seinen Kumpel Paco vor kurzem verloren und man merkt, dass ihm etwas fehlt. Deswegen haben wir nach Gesellschaft für ihn gesucht und sind fündig geworden: Demnächst wird eine ebenso sanfte Hündin hier einziehen, die bisher nur Welpen geboren hat und sonst kaum etwas kennt.
Wir hoffen, dass sie sich an Kalle orientiert und merkt, dass sie hier sicher ist. Paco hat Kalle quasi in seine Obhut genommen. Nun wird Kalle das selbe mit seiner neuen Kumpeline machen können.
Kalle ist absolut loyal: Vom ersten Moment an mochte er Paco so gern und hat ihm immer das Gesicht geleckt, sich neben ihn gelegt und mit ihm an einem Tau gezergelt. Er hat mitbekommen, wie Paco immer schwächer wurde, aber nie hat er Pacos Position in Frage gestellt. Er war immer lieb und höflich zu Paco.
Kalle ist auch grossmütig: Wenn wir nicht aufpassen würden, würde Krümel ihm sein Fressen vor der Nase weg fressen. Er würde sich nicht wehren, sondern nur betrübt zuschauen. Genau so ergeht es ihm mit seinen Ball.
Ich bin so froh, dass ich ihn in den Tiefen des Internet wieder gefunden habe und er nun bei uns ist.
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