Stell dir vor du bist ein Listenhund. Ein ziemlich Unbekannter obendrein. Hast schon viel gesehen, viel erlebt und die Zeit läuft. Gegen dich. Ohne ein eigenes Zuhause. Keiner „wirbt“ so wirklich für dich, und das man auf dich stößt ist dann eher ein Zufall.
So oder so ähnlich beginnt meine Geschichte.
Ich habe mir nun einen Menschen zugelegt. Mittlerweile bin ich eine Prinzessin und wohne in einem Schloss mit großem Park und zwei Bediensteten.
Uneigentlich bin ich nicht wirklich eine Prinzessin, sondern ein echtes norddeutsches Butscherkind.
Eine leicht masochistisch veranlagte Frau, hat am 21.12.2016 ihren Seelenhund verloren. Da wusste ich noch nicht, das sich deswegen unsere Wege kreuzen werden.
Diese Frau setzte sich am 22.12.16 an ihren PC und suchte... ernsthaft... nach so etwas wie mir. Wieder aus dem Tierheim und ein (jüngerer) Amstaff sollte es sein. Wobei ich ehrlicherweise sagen muss, ich war ihre vierte Wahl. :D Aber ich möchte nicht kleinlich sein, schließlich tat sie ja dann das Richtige.
Jedenfalls begann UNSERE Geschichte hier bei Couch gesucht.
Die Frau fand meine kurze Vorstellung (und ich habe mich wirklich sehr bemüht, mich vorteilhaft zu präsentieren. Papier ist ja auch geduldig) und einem kleinen Foto. Was sie nicht wusste, so sah ich gar nicht aus. Man verwendete ein falsches Bild, um mich zu schützen. Vor meiner bewegten Vergangenheit.
Mein (neuer) Lieblingsmensch und meine neue Menschenomi fanden neun Tage danach den Weg zu mir. Ich war ziemlich aufgeregt. Okay, das bin ich bis heute noch... aber anders *ich schwöre*.
Ich musste durch verschiedene Situationen gehen, sie wollten mich erleben.
Ich musste in die Hundegruppe und war ziemlich überfordert. Mein Lieblingsmensch hatte damals schon ein ungutes Gefühl. Irgendwann hat sie mir mal erzählt, das sie still und Augen zu gebetet hat, dass ich und alle anderen das unbeschadet überstehen.
Danach musste ich zu den Meerschweinchen und ins Katzenhaus. Ich war so wuschig, dass mir alles egal war. Ich wollte mich eigentlich nur bewegen und nicht olle Tiere anschauen.
Ich habe mir dann weiterhin kräftig Mühe gegeben und bin erst mal zum Vögel jagen abgehauen. Aber nicht ohne davor zu beweisen, WIE hoch ich springen kann. :)
Ich bevorzuge als Begrüßung die klassische Kopfnuss. Ich wollte schließlich meine guten Seiten nicht unbeachtet lassen.
Anleinen lassen oder mich in einem normalen Tempo durch die Welt zu bewegen fand ich ziemlich überflüssig. Ich meinte es ja auch nur gut mit ihnen und demonstrierte, wofür Leinen gut sind. Nämlich zum Reinbeissen und Umherschleudern. Hätte ja sein können das sie dies gar nicht wussten?!
Den Tierheimmitarbeitern schien dies irgendwie unangenehm zu sein... Sie meinten; ich müsse noch ein bisschen lernen. Pfff...
Die Oma wollte, dass ich zum Lieblingsmenschen ziehe. Die war aber unsicher. Verstehe ich gar nicht... ICH fand mich während meiner dreistündigen Präsentation ziemlich gut.
Ich wartete.
Die Tage vergingen und ich fragte mich, ob sie noch einmal wiederkommt.
Sie kam. Im tiefsten Winter um mich zu holen.
So begann mein neues Leben ganz pünktlich zu Beginn eines neuen Jahres. Es war der 7.1.2017.
Auf der Fahrt in mein Zuhause schrie und tobte ich. Fünf Stunden lang. Dies ist bis heute so geblieben. Ich kann leider nicht sehr gut Auto fahren und mein Lieblingsmensch sagt eh, - Ich sein etwas „Besonderes“ -... Sie meint damit sicher mein elfengleiches Wesen und meine liebe - und mühevoll entwickelten „Marotten“.
Schreien und toben begleiten mich eigentlich immer, wenn ich Situationen nicht ertragen kann. Ich habe aber gelernt was ich dann tun kann, damit es mir besser geht. Als ich noch nicht so genau wusste, was ich dann tun soll, habe ich mich eigentlich immer für: volles Rohr dagegen, entschieden.
Mein Lieblingsmensch resümierte vor kurzem, sie hat in 30 Jahren zusammenleben mit Hunden noch nie so ausgesehen wie mit mir. Ich finde ja, dafür könnte sie mir schon auch mal danken, nicht jeden zieren so schöne Narben und Blutergüsse.
So bleiben Erinnerungen.
Unser erstes Jahr war für meinen Menschen, zugegebenermaßen, nicht soooo witzig.
Bei meiner Abholung fiel ihr sofort auf, das ich gelbe Augen und Schleimhäute habe. Mein Bauch war knallrot und ich war inkontinent. Ich hatte auch ein bisschen zu wenig auf den Rippen und entlastete permanent meine Hinterbeine.
Beim Tierarztbesuch, der leider sofort stattfinden musste, habe ich mich gegen meinen Lieblingsmenschen (da war sie halt auch noch nicht so ganz mein Lieblingsmensch) gerichtet, mit einem etwas unschönen Ausgang für sie. Aber ich schwöre... das war nur, weil ich dachte: DIE KILLEN MICH hier...
Danach verordnete sie uns Einzeltraining in einer besonderen Hundeschule. Mein Mensch lernte mich lesen und ich lernte, ihr zu glauben und zu vertrauen.
Wir begannen auch mit Maulkorbtraining, welches bei mir sehr lange dauerte. Ich bin nämlich Verfechter von: Ich hau dich lieber zuerst, bevor du mir etwas tust.
Ich reagierte massiv auf den Maulkorb, auch wenn sie ihn nur in der Hand hielt. Ich weiß, sie gab sich echt viel Mühe... aber ich brauchte lange Zeit, um nicht prophylaktisch unter Einsatz meiner schönen, sehr gepflegten Zähne zu eskalieren.
Viele weitere Maßnahmen wurden installiert. Ihr müsst nämlich wissen, das alles Neue, Unbekannte, Reize mich erst mal fertigmachen. Es fällt mir schwer Situationen richtig einzuschätzen und noch schwerer fällt es mir, wenn ich Druck/Stress empfinde. Ich habe gehört das was ich dann tue, wird Übersprungshandlung genannt, und ich neige dann zu „Handgreiflichkeiten“.
Meine Menschen halten mich dann ganz nah und fest in ihren Armen, so kann ich meistens runterfahren. Ausserdem habe ich einen Meditationsball, und an allen wichtigen Stellen liegen Kau- und Spielsachen. Die hole ich mir, wenn ich sehr nervös bin.
Ich sollte deswegen zu den Treffen der anonymen Spielzeugabhängigen, aber seitdem ich wirklich auch immer wieder alles wegräume, hat sich die Androhung erledigt. Darüber bin ich natürlich sehr erleichtert.
Ungeachtet meiner Baustellen haben wir uns trotzdem dem Leben gestellt. Sehr gerne erlebe ich mit ausreichend Distanz zu Menschen neue Dinge. Ich war sogar schon in Polen.
Ich lebe also meistens ganz ruhig auf dem Land, eingebettet in mein heiliges Zuhause. Die umliegenden Wälder, Wege und das Meer sind mein.
Körperlich ging es mir nach wenigen Wochen besser. Meine Leberentzündung und Blasenentzündung waren überwunden, ich baute Muskeln auf und nahm insgesamt zu.
Mein Lieblingsmensch ging nur Nachts mit mir laufen (und das im tiefsten Winter), um Reize zu reduzieren. Wir brauchten Wochen um überhaupt – unfallfrei - mich anziehen und losgehen zu können.
Heute bringe ich meine Leine und Mantel selber und wenn ich könnte und dürfte, würde ich mich glatt gänzlich selber versorgen und losgehen.
Ich hatte nämlich vor allem eine gewisse Skepsis. Das mir der Himmel auf den Kopf fällt, vor Geräuschen, Menschen, Regen.
Apropos Regen. Ich schaffte es die ersten Male mich aus dem Geschirr zu winden und panisch durch die Weltgeschichte zu rennen.
Die ersten Monate kroch ich auf dem Bauch und schrie, wenn ich dachte, ich hätte mich falsch verhalten.
Ich war sehr kopfscheu, jeglicher (noch so leichter) Druck am Hals führte das erste Jahr dazu dass ich explodierte und mich schreiend in Rollen auf dem Boden wand. Das wurde aber alles besser und heute habe ich eigentlich vor Nichts mehr Angst.
Im Gegenteil, man attestiert mir – mittlerweile - ein großes Selbstbewusstsein, und dass ich außerordentlich „kernig“ sei. Also zumindest sagten das die Hundetrainer, die wir so besuchten.
Ich komme mit anderen Hunden überhaupt nicht zurecht und besuchte deswegen längere Zeit eine sogenannte „Raufergruppe“. Mir tat das gar nicht gut; mein Stresspegel stieg enorm und meine Übersprungshandlungen verstärkten sich (auch zu Hause) wieder, so hörten wir dort dann auf.
Mein Lieblingsmensch verzweifelte die ersten Monate ziemlich viel. Sie wusste nicht, ob wir das wirklich schaffen. Ich wusste mich einfach nicht anders zu verhalten und eskalierte bei jeder Kleinigkeit. Ich war so aufgeladen. Voller angestauter Energie und wusste nicht wohin mit ihr und mir.
Wir haben dann angefangen Rad zu fahren. Ihr müsst wissen, das kann ich nämlich ziemlich gut. Ergänzend kaufte der Lieblingsmensch mir ein Laufband.
Ich kann aber nicht nur gut Radfahren, sondern bin auch ein 1a-Rollstuhl- und Fotobegleithund.
Manchmal bin ich in großer Sorge und kümmere mich dann um meinen Lieblingsmenschen. Die hat so eine seltsame Krankheit: MS.
Ja gut, sag ich mir. Besser als SM oder?!
Ich bringe ihr dann meine Spielsachen und rede viel mit ihr. Erzählen kann ich nämlich auch ziemlich gut. Mein Zweitname ist: Der Seehund. Ich hab wohl eine Geräuschkulisse wie eben dieser.
Pfffff... manchmal denke ich Menschen sind dumm. Das ist HÜNDISCH, was und wie ich rede.
Wie auch immer, mittlerweile kann ich mich ohne Eskalation ruhig zu ihr legen.
Ich feile ja bis heute an der optimalen Waschprozedur. Irgendwie schätzt sie das nicht so sehr, wenn ich ihre Augen und Ohren säubern möchte. Das scheint so ein Menschending zu sein. Ich habe ihr aber dann beigebracht, mir dann halt als Alternative ihre Hände zur Verfügung zu stellen. So kann ich arbeiten. Und wir sind alle zufrieden.
So oder so, liebe ich meine Menschen abgöttisch. Manchmal etwas (zu) viel, sagen sie. Eventuell könnten sie damit meinen ausgeprägten Trieb des (Be)wachens und Schützens meinen?
Die sollten mir mal eher dankbar sein. Nur so überleben wir und keiner räumt hier die Bude leer.
Wenn mich Menschen sehen, finden sie mich meistens sehr schön und wollen mich anfassen.
Oh mein Gott... betatschen! Ekelhaft. Gott sei Dank, verhindern meine Menschen das.
Wir haben hier am Haus extra ein Schild aufgehängt, dass die bloß alle wegbleiben sollen. Mich darf man nur anschauen, möglichst mit Fernglas *chchch*.
Ich möchte auch nicht angesprochen werden. Ich rede nicht mit Fremden.
Wobei, eine Freundin habe ich. Die Oma Schneider. Die wohnt gegenüber. Ich freue mich immer ziemlich wenn sie rauskommt, um ihren Rasen zu mähen oder ihre Blumen zu pflegen.
Nun sind bald zwei Jahre vergangen. Wir haben schon ein Weihnachtsfest gemeinsam erlebt. Ich bekam auch etwas.
Mein Lieblingsmensch ist meine Sonne. Und ich ihre... das hat sie mir schon ein paar mal gesagt. Und ich glaube nicht, dass sie mich je belügen würde.
Ausgenommen wir müssen zum Tierarzt. Dann erzählt sie mir immer, das würde alles ganz schnell gehen und tut gar nicht weh, und ich würde danach was ganz Tolles bekommen. Leider stellt sich dies immer als Lüge heraus. Aber ich verzeihe ihr.
Wir kommen mittlerweile gut zurecht; ich finde jeden neuen Tag mit ihr ganz wunderbar und kreische vor Entzücken, wenn sie aufsteht, und eigentlich finde ich alles ziemlich gut was sie (mit mir) macht.
Wir herzen uns dann und kümmern uns dann gemeinsam um Sam und Paul, das sind meine beiden Hasen, und die Meerschweinchen. Mit denen wohne ich zusammen, die dürfen hier nämlich auch im Haus rumlaufen. Ich fresse dann ihr Futter und der Lieblingsmensch macht sauber. Optimale Arbeitsverteilung.
Jeden Abend werde ich zugedeckt und freue mich auf alles, was wir noch gemeinsam erleben werden.
Und noch mehr freue ich mich auf mein zweites Weihnachtsfest hier; ich hab ihr auch schon gesagt, was ich alles haben will.
Allen Kumpels die noch keine verrückten Menschen gefunden haben, wünsche ich das es 2019 etwas mit einem eigenen Tannenbaum wird. Wenn ihr euch bemüht, bekommt ihr eure Menschen sicher auch so erzogen, dass sie euch viel schenken.
Ich denke ja, ich bekomme wieder ein Einhorn.
Eure Crunchy
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Liebe Crunchy
du bist mein rechter Arm, mein Herz, mein Augapfel geworden. Du warst und bist (m)eine Lebensaufgabe und ich bin sehr froh das wir so leben wie wir leben. Nur so hast du eine Chance und die Ruhe die du brauchst.
Ich habe dir nie erzählt, dass, egal wo wir aufschlugen um zu lernen, man mir nahelegte, dich ins Tierheim zurückzubringen. Was ich mir mit dir „antun“ würde.
Völlig indiskutabel, als könntest du etwas dafür das du so bist wie du bist.
Ich habe mich für dich entschieden und das bis ans Ende deiner Tage. Du hast nicht mich ausgesucht, sondern ich dich.
Die Menschen kennen mich nicht. Sie dachten ich gehöre zu denen, die sich des Problems entledigen. Es gibt aber kein Aufgeben; nie würde ich dich erschüttern. Du bleibst bei mir.
In deiner geschützten Welt blühst du auf, wofür wir hart und ich schmerzvoll arbeiten mussten.
Mein gute Laune-Kind. Du bist voller Lebensfreude, so loyal und gelehrig. Erfreust dich an so vielen kleinen Dingen; ich liebe deine verspielte Art. Du kullerst deine Tomaten und Äpfel, spielst gerne (einseitiges) fangen *lach* und bist schnell, nach anfänglicher Skepsis, für etwas zu begeistern
Du hast mich zu vielen wichtigen Schritten bewogen, die in meinem Leben dringend nötig waren.
Du hast mir Mut gegeben und gibst ihn mir bis heute.
Es hat mich verzweifeln lassen, wie sehr du leidest, deine daraus resultierenden Verhaltensweisen.
Deine Schreie der ersten Monate klingen mir bis heute im Ohr. Heute bin sehr stolz auf dich, wie du die meiste Zeit alles gut meisterst.
Du liegst gerade neben mir, und wir teilen uns eine Decke. Dies wäre vor einem Jahr nicht ohne Theater möglich gewesen. Und so zeigst du mir, wie stark du geworden bist und verstanden hast, dass dir hier nie, nie! etwas passieren wird.
Dein Lieblingsmensch
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