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Der Migrant

Eine befreundete Hundehalterin hatte mir den Auslandstierschutzverein empfohlen, von dem sie ihren Hund hatte, also schaute ich mal auf die Webseite, denn mein voriger Hund war verstorben.

Und da war er, kurzhaarig, athletisch, nicht zu alt, nicht zu jung, verträglich, lieb im Umgang und ein guter Beifahrer, ein Boxermix.

Boxer mag ich. Dass er nicht reinrassig war störte mich wenig, im Gegenteil, es gefiel mir, dass er eine längere Schnauze hatte. Nennen wir ihn im Folgenden den Migranten.

Ich habe mich gefragt, ob es ein Listenhundmix sein könnte, aber auf den Bildern sah er nicht danach aus, es fehlte die starke Kaumuskulatur und diese kleinen, eckigen Terrieraugen. Erst später stellte ich fest, dass der Migrant das Talent hatte, auf Fotos grundsätzlich anders auszusehen als in echt.

Dann ging es schnell, Vorkontrolle bestanden, der Hund durfte kommen, zunächst zur Pflege mit Option auf Übernahme. Ich hatte schon Hunde aus dem Ausland übernommen und war keine unerfahrene Hundehalterin, also machte ich mir wenig Sorgen.

Ich kann euch sagen, es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bis die Hunde am Flughafen abgefertigt sind und man seinen neuen Pflegling endlich in Empfang nehmen kann. Schiebetüren öffnen und schließen sich, Menschen mit Koffern strömen heraus.

Dann stand da plötzlich eine große Box hinter den Schiebetüren. Da war er, der Migrant, und wurde auf Rollen in den Eingangsbereich geschoben. Er hat so stark gewedelt, dass er mit der Rute links und rechts gegen die Box geschlagen hat: „klongklongklong“.

Ich wurde instruiert die Tür vorsichtig zu öffnen und sofort eine der zwei Leinen zu packen, die an Geschirr und Halsband befestigt waren. Der Migrant kam aus der Box geschossen, ich schnappte erst die eine Leine, dann die andere und hatte große Mühe, ihn zu kontrollieren, so wild war er, und mir rutschte sehr schnell mein Herz in die Hose, als ich erkannte, dass ich überhaupt keinen Boxermix an der Leine hatte, sondern einen so genannten Kampfhund.

Das war nicht der Körper eines Boxermixes, das war ein Terrier.
Das wäre nicht das Problem gewesen, wenn die Einfuhr der vier Listenhundrassen „American Pit Bull Terrier“, „American Staffordshire Terrier“, „Staffordshire Bullterrier“ und „Bullterrier“ nicht deutschlandweit verboten wäre.

Irgendeiner Mixtur der ersten zwei genannten Rassen gehörte der Migrant ganz offensichtlich an.

Eigentlich wusste ich, dass ich ihn direkt dem TSV-Mitarbeiter in die Hand hätte drücken sollen und den Tierschutzverein die Suppe, die sie sich und mir da eingebrockt hatten, auslöffeln lassen sollte, aber ich konnte nicht. Dieser Hund ist ja nur wegen mir hier, dachte ich, und ich habe ihm ein neues Zuhause versprochen, auch wenn er das nicht wusste.

Also beeilte ich mich, aus dem Flughafengebäude rauszukommen, zu verhindern, dass der illegale Einwanderer Flughafengäste anspringt und lud dieses Tier ins Auto und fuhr nach Hause, mich fragend, wie er durch die Zollkontrolle gekommen ist.

Gut dachte ich, immerhin hat er offensichtlich keine Drogen dabei.

Erst später äußerte ich gegenüber dem Tierschutzverein meine Ansicht, dass man mir einen „Kampfhund“ vermittelt und damit illegal eingeführt hatte. Der Tierschutzverein wollte davon nichts wissen, und man verwies darauf, dass mein Bundesland ja keine Rasseliste habe. Dass Bundesgesetz (also das deutschlandweite Importverbot) über Landesgesetz steht, schien der TSV nicht verstehen zu wollen.

Gut, was sollte man auch machen, den Migranten wieder einsammeln und zurückschicken?

Vermutlich wäre es das Richtige gewesen, aber ich hätte das auch nicht gekonnt, zu sehr hatte ich schon mein Herz an den illegalen Einwanderer verloren.

Ich hatte noch ein paar Wochen Angst, dass hiesige Veterinäramt könnte vor der Tür stehen zur Kontrolle, wie es das bei dem anderen Auslandshund, den ich vorher übernommen hatte, gemacht hatte.

Es stellte ich heraus, dass ich davor keine Angst zu haben brauchte, denn der TSV des Migranten arbeitet nicht mit „Traces“, obwohl das Pflicht ist, denn es dient der Überwachung des Tierverkehrs in die EU, und nur dadurch wissen die Veterinärämter, welche Tiere wohin verfrachtet werden.

Die ersten Monate waren grauenhaft.

Das Wissen um seinen illegalen Aufenthalt verunsicherte mich, und das übertrug sich auf ihn. Er war total wild, völlig überfordert mit den neuen Eindrücken und er löste das durch wildes Rumspringen, Ausflippen an der Leine und ständiges Gezappel.

Er akzeptierte auch keine meiner Einwirkungen, und ich ahnte, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn wir weiter so ein Bild abgeben würden. Ich melde mich bei einer Trainerin, und bald darauf waren wir ein echtes Dreamteam, jedoch immer mit dem Damoklesschwert der illegalen Einfuhr im Hinterkopf.

Ich erzählte also nichts von seiner Herkunft, blieb stets beim „Boxermix“ und erntete ungläubige Blicke von Rassekennern. Ich instruierte die befreundete Hundehalterin, die mich auf den Verein aufmerksam gemacht hatte, nicht zu erzählen, dass mein Hund vom selben Verein ist wie ihr Hund.

Ich habe ihn dann fest übernommen, auch wenn ich nicht einverstanden war mit der Vorgehensweise des Tierschutzvereins.

Trotzdem blieb meine Angst, dass seine Herkunft auffliegen könnte. Bei jedem blöden Kommentar, bei jedem Hund, der in meinen Migranten reinlief und durchaus auch mal eine Ansage im Rahmen des normalen Hundeverhaltens kassierte, hatte ich Sorge, irgendwer könnte uns anzeigen, alles würde auffliegen und mein lieber, sensibler Migrant würde eingezogen werden und im Tierheimzwinger unendlich leiden.

Ich liebte diesen Hund sehr und der Gedanke ihn zu verlieren war sehr bedrohlich. Ich überlegte ihm den Mikrochip mit der ausländischen Länderkennung rausoperieren zu lassen, ein Rassegutachten erstellen zu lassen, einen deutschen Kaufvertrag zu fälschen...
 Nichts davon habe ich getan, denn es hätte vermutlich alles noch schlimmer gemacht, wenn es aufgeflogen wäre.

Die Angst war immer da, viele Jahre lang, und sie wird nicht weniger, wenn man weiß, was die Konsequenzen wären, wenn es auffliegt.

Der Migrant wäre eingezogen worden und aus dem Tierheim vermutlich nicht wieder raus gekommen, war er doch mittlerweile kein junger Hund mehr und dazu auch chronisch krank, ganz zu schweigen von der „Rasse“. Ich bin heute noch dankbar, dass der Migrant bei mir alt werden durfte und seine Herkunft bis zu seinem Tod nicht aufgeflogen ist. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke und an das große Glück, das wir hatten.

Mir rollen sich die Nägel auf, wenn ich auf Auslandstierschutzseiten stöbere und dort ganz offensichtliche Listenhundmixe sehe, die unter falscher Rassebezeichnung nach Deutschland importiert werden sollen. Kein seriöser Tierschutzverein macht das!

Deutsche Tierheime sind voll mit Listenhunden, es kann mir keiner erzählen, dass er in Deutschland keinen Listenhund im Tierheim findet.

Natürlich finde ich die Gesetzeslage fragwürdig, und mein Migrant ist der beste Beweis für den freundlichen, aufgeschlossenen Charakter dieser Rassen, trotzdem muss man sich an Gesetze halten. Die unzähligen eingezogenen Listenhunde in den Tierheimen zeigen, dass mein Migrant und ich die absolute Ausnahme sind, bei denen „so etwas“ gut geht.

Unsere Geschichte soll also keinesfalls dahingehend missverstanden werden, die Gesetze zu umgehen und illegal Listenhunde einzuführen.

Im Gegenteil, sie soll ein Mahnmal sein genau das nicht zu tun, denn es geht fast nie gut, und wenn es gut geht, dann lebt man ein Hundeleben lang mit der Angst, dass es schiefgehen könnte.

22.12.2022

24.12.2022


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

Niemals ein Tier verschenken, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es erwünscht ist!!
Und niemals ein Tier für jemand anderen aussuchen - Die “Chemie” muss stimmen!

Eltern sollten sich immer bewusst sein, dass SIE die letztendliche Verantwortung für ein Tier haben und nicht das Kind - Egal ob Hund, Katze oder Meerschweinchen und egal, was man vorher sagt!!

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