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Spike

Eine besondere Herausforderung

Seit knapp 30 Jahren nehme ich Dobermänner und Doberfrauen aus dem Tierschutz bei mir auf.

Jeder von ihnen war eine besondere Persönlichkeit mit speziellen Herausforderungen. Durch jeden dieser Hunde habe ich viel gelernt. Doch besonders in Erinnerung geblieben ist mir Spike. Eine ganz besondere Herausforderung und mein Lehrmeister.

Spike kam über die Dobermann-Nothilfe zu uns, meinem Lebensgefährten und meiner Dobermann- Hündin Calla.

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Er lebte damals in einer Familie mit einem Kind und sollte ganz schnell vermittelt werden, da es angeblich zu Spannungen innerhalb der Familie durch den Hund kam.

Aus dem Vermittlungstext konnte man nichts besonders Negatives herauslesen.
Es hieß lediglich, dass er sich nichts sagen lässt und dann knurrt. Also nichts, was ich mir nicht zugetraut hätte und so entschloss ich mich, ihn bei mir aufzunehmen.

Wir holten ihn ab und erfuhren von der Familie, dass sie nicht so viel Zeit für ihn hatten, da sie beide in Vollzeit berufstätig waren und ein kleines Kind hatten.

Er kam kurz vor Weihnachten zu uns und wir dachten, prima, wir fahren jetzt bald nach Spanien in unsere Wohnung, dann haben wir Zeit für ihn und wir können schöne Wanderungen mit ihm machen und ihm „die Welt“ zeigen.

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Großer Fehler.

Dieser vierjährige Bub war total überfordert.
Im Nachhinein muss man sich wundern, was wir ihm alles zugemutet haben:

Erst 2 Wochen die Wohnung  bei uns, dann die Fahrt nach Spanien, das Meer, die Berge, lange Touren, Futterumstellung, ein neuer Hundekumpel, neue Leute.

Kein Wunder, dass es da gehörig in seinem Gehirn geknallt hat. Er konnte das gar nicht verarbeiten und war natürlich völlig gestresst.

Beim nächsten Hund ist erst mal für eine lange Zeit wirklich Ruhe angesagt. Der nächste Hund darf viel schlafen und alles in seinem Tempo verarbeiten. Diesen Fehler machen wir nie wieder!!!

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Die Probleme begannen, als er keine Nähe mehr vertrug und bei Annäherung geknurrt hat. Auch wollte er sich das Geschirr nicht mehr so gerne anziehen lassen. Das ging dann nur noch über Rituale, einen ganz bestimmten Ort und mit viel Ruhe.

Wir konnten das gar nicht verstehen, da wir ihm sehr respektvoll begegnet sind, nicht aversiv trainieren, Grenzen gesetzt haben und auch sonst nicht unerfahren sind.

Er hat sich sehr schnell immer bedroht gefühlt.
Er war ein sehr unsicherer Hund, mit einem labilen Nervenkostüm, der oft ambivalentes Verhalten zeigt, d.h. er sucht Nähe, ist aber dann schnell überfordert und schnappt ab. Es war sehr schwer zu erahnen, wie er sich gerade fühlt und wann es ihm zu viel wird.

Eine Besonderheit war, dass er im Raum sehr unsicher war, und man da eher schwer an ihn rankam. Im Freien war das viel einfacher. Daher haben wir ihm das Geschirr oder Mäntelchen nur im Freien an- oder ausgezogen.

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Ich wollte aber weiterkommen und nachdem er sich eine ganze Weile anstandslos das Geschirr und Mäntelchen anlegen ließ, habe ich dann eines Tages versucht, ihm das Geschirr in der Wohnung auszuziehen. Dabei hat er sich im Geschirr verheddert und ich konnte ihn nicht mehr befreien. Bei jeder Annäherung hat er geknurrt, konnte aber wegen des verhedderten Geschirrs nicht mehr laufen und lag dann da.

Glücklicherweise hatte ich Maulkorbtraining mit ihm gemacht und konnte ihm dann vorsichtig den Maulkorb aufziehen und das Geschirr dann aufschneiden. Einfach war das nicht!!

Das hat mir wieder gezeigt, wie schwierig es war, seine Grenze zu ertasten.

Viele Menschen und leider auch viele Hundetrainer sind immer noch der Meinung, dass man nur zeigen soll, wer der Chef ist, dann klappt das schon. Mit „Wattebällchen werfen“ käme man halt nicht weiter. Das wurde mir oft von den „Profis“ und „Möchtegernprofis“ geraten.

Diese Leute verwechseln Konsequenz mit Härte. Man hat eine Fürsorgepflicht und sollte den Hund Führung geben. Das hat nichts mit „starken Worten oder Taten“ zu tun. Da wäre er total ausgerastet.

Besonders hier war es wichtig zu verstehen,  warum er so reagiert hat und dann Lösungsmöglichkeiten suchen. Liebevolle und konsequente Führung hat uns weitergebracht.

Davon abgesehen, braucht kein Hund „eine richtige Ansage“.

Die Verhaltensänderung ging nur über Rituale, Verständnis, einem netten belohnungsbasierten Verhaltenstraining, langsames Antasten an seine Grenze und Vertrauensaufbau durch Tricks, Suchspiele, Dummytraining, d.h. Beschäftigung mit ihm, um sein Selbstvertrauen aufzubauen. Das hat immer besser geklappt; es ging tendenziell nach oben.

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Es gab aber auch Rückschritte.
So hatte ich bei einer Wanderung einen lauten Streit mit meinem Partner. Normalerweise versuchen wir vor allem in Gegenwart der Hunde, Ruhe zu bewahren. Aber es war halt einer dieser Tage...

Auf jeden Fall ist mein Partner bei diesem Streit gestolpert und hingefallen. Spike hat sich sofort auf ihn gestürzt und ihn gebissen. Ich konnte ihn rechtzeitig wegziehen, so dass es kaum eine Verletzung gab.

Das hat uns wieder gelehrt, dass die Hunde Streitgespräche auf sich beziehen können und verunsichert werden. Man sollte also immer darauf achten, wie man sich in Gegenwart der Hunde verhält.

Ein weiterer Vorfall ereignete sich viel später, als er meine Nähe suchte und sich ins Bett neben mich legte. Ich dachte: Ja, das ist der Durchbruch. Jetzt hat er Vertrauen zu mir.

Weit gefehlt.
Er lag neben mir und ich habe kaum gewagt, zu atmen.

Ich war aber auch überglücklich.

Dann habe ich mich kurz bewegt, und wie von der Tarantel gestochen ist er hochgesprungen und hat sich über mich gestellt. Ich hatte keine Möglichkeit, zu entkommen.

Er wurde immer wütender und seine Schnauze war sehr dicht vor meinem Gesicht. Ich konnte wegen der Wand hinter mir keinen Millimeter zurückweichen. Er hat gespuckt, sein Knurren wurde immer lauter und bedrohlicher. Ich dachte, das ist jetzt mein Ende.

Was tun?

Entweder versuchen, die Decke auf ihn zu werfen und so versuchen zu entkommen?
Warten, bis er aufhört?

Ich hatte ein Entspannungssignal („easy“) aufgebaut, das ich dann ganz leise, langsam und ruhig zu ihm sagte. Habe versucht, ihn nicht dabei anzuschauen und zu deeskalieren. Nun hat er sich ein wenig beruhigt, und er hat sich immer mehr entspannt.

Neben dem Bett hatte ich eine Dose mit Leckerli, die ich mir ganz langsam geholt habe. Nachdem er noch weiter heruntergefahren war, habe ich irgendwann freudig seinen Namen gerufen und die Leckerlis auf ihn geworfen. Gerettet!!!  Wenn ich daran denke, wird mir immer noch schlecht.

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Obwohl die Situation so bedrohlich war, haben wir nicht aufgegeben und immer weitere Fortschritte gemacht.

Leider ist Spike nach nur 2 Jahren bei uns am plötzlichen Herztod nach einem Sprint über die Wiese gestorben.

Heute weiß ich, nachdem ich mich mit dieser Verhaltensauffälligkeit auch später befasst habe, dass wir viel erreicht haben; es wäre aber noch so viel mehr möglich gewesen.

Es gibt so viele Möglichkeiten, einen unsicheren Hund sicherer zu machen und ihm Selbstvertrauen zu geben. Vor allem Medical Training hätte uns auch noch ein großes Stück weiter gebracht. Auf jeden Fall haben wir sehr viel gelernt und es tut mir heute noch leid, dass wir durch Unwissenheit einen so schlechten Start mit ihm hatten.

Wir waren Leinenpöbler gewöhnt, Aggressionen gegen Menschen und andere Hunde haben wir gut in den Griff bekommen, aber ein Hund, der vor uns Angst hat, das hat uns überfordert.

Ich hoffe, dass es ihm trotzdem bei uns gefallen hat und wir hätten ihn niemals abgegeben. Wenn man ein Tier zu sich holt, dann muss man dafür Verantwortung übernehmen, vor allem, wenn man sieht, dass es Möglichkeiten gibt, eine Verhaltensänderung herbeizuführen.

Frohe Weihnachten wünschen wir euch.

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07.12.2022

09.12.2022


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

Niemals ein Tier verschenken, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es erwünscht ist!!
Und niemals ein Tier für jemand anderen aussuchen - Die “Chemie” muss stimmen!

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