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Thilo

oder

Wie man unfreiwillig „Mutter“ wird

Nach dem plötzlichen, viel zu frühen Tod von Igor stand fest, dass wieder ein großer Hund bei mir einziehen muss; die kleine Plüschdiva Kiwi war einfach nicht genug „Hund“ für mich.

Sehr bald fand ich Thilo, der ein netter Kerl sein und mit kleinen Hunden gut auskommen sollte.

Er war beim Tierheim über den Zaun geworfen worden, man vermutete, dass er ursprünglich von einem jungen Mann aus der Gegend angeschafft worden war um ein großes Grundstück zu bewachen.

Wie so oft konnte man aber nichts nachweisen und so wurde er zur Vermittlung freigegeben.

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Thilo hatte schlechte Vermittlungschancen; er war ganz und gar kein süßer Welpe mehr, ein Listenhund und man hatte ihm die Ohren kurz kupiert.

Ich fand ihn super und sah in ihm aufgrund seines sportlichen Körperbaus meinen neuen Sportpartner.

Im Tierheim war er tiefenentspannt; das war ja auch sein gewohntes Umfeld. Er schien sich so gar nicht an Kiwi zu stören und benahm sich wirklich tadellos.

Tja, bei mir angekommen war nicht mehr viel mit Entspannung, jedenfalls nicht außerhalb des Hauses. Der gute Thilo war derart überfordert mit seinem neuen Lebensumfeld, dass er bei jedem Umweltreiz senkrecht an der Leine stand und sich benahm „wie eine offene Hose“.

Zu allem Überfluss wollte er auch noch auf die kleine Kiwi losgehen, die sich nach Leibeskräften gegen diesen ungehobelten Rüpel wehrte, aber natürlich mit ihren 7 Kilo wenig Chancen gegen den fleischgewordenen, nur aus Muskeln und Zähnen bestehenden Alptraum aus der Bildzeitung hatte.

Thilo bekam umgehend klare Antworten von mir und sehr bald lernte er, Kiwi in Ruhe zu lassen und akzeptierte sie sogar uneingeschränkt als Chefin.

Leider akzeptierte er mich außerhalb des Hauses nicht als Chefin, sondern benahm sich draußen weiterhin äußerst schlecht.

Ich meldete mich also schleunigst bei der Hundeschule mit dem besten Ruf hier in der Gegend und wollte dort auch zunächst nur mit der Hundetrainerin arbeiten, die mir schon durch Freunde empfohlen worden war.

Diese Trainerin begutachtete meinen Hund und forderte mich auf ihn durch den Zaun Kontakt zu ihren Hunden (ein Schäferhund und Labradore) aufnehmen zu lassen. Natürlich flippte Thilo aus und pöbelte wild herum.

Ihr Urteil fiel vernichtend aus; es sei nicht normal, dass dieser Hund sich auf fremdem Grund so gebärdet gegenüber souveränen, älteren Hundedamen, ich dürfe ihn auf keinen Fall mit anderen Hunden zusammenlassen.

Ich war geschockt.
Ich hatte mir einen verträglichen Hund gewünscht, und als solcher war er mir vermittelt worden.

Zum Glück verwies die Trainerin mich an eine ihrer Kolleginnen, die Thilo zwar auch nicht für uneingeschränkt verträglich hielt, mir aber zumindest Hoffnung machte, dass man ihn mit ausgewählten Hunden zusammenlassen können würde.

n der ersten Stunde mit dieser Trainerin hatte ich zum ersten Mal richtig Freude mit ihm außerhalb des Hauses. Ich hatte zwar große Angst, dass er über den Zaun des Hundeschulgeländes springt und abhaut, aber die Trainerin fragte mich, warum er das tun sollte.

„Weil er es kann und weil er bescheuert ist!“, lautete meine Antwort.

Er tat es nicht.

Wir gingen hinter eine Art Sichtschutz. Sie hielt ihn fest, ich sollte mich verstecken und sie würde ihn dann loslassen, um unsere Bildung zu testen.

Da rannte mein Thilo also über den großen Platz und suchte sein neues Frauchen und er fand mich und freute sich so sehr!

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Er drehte weitere Runden und er ließ sich abrufen!

Und dann haben wir ihn erfolgreich mit den Hunden einer Freundin vergesellschaftet.

Es folgten noch einige Wochen intensiven Trainings und die Fortschritte stellten sich schnell ein, Thilo war ein Musterschüler und lernte sehr schnell sich an der Leine gut zu benehmen. Bald gaben wir kein Bild des Grauens mehr ab, sondern das eines eingespielten Teams, und niemand hatte mehr Angst bei unserem Anblick, dass die Leine reißen könnte.

Thilo entwickelte sich zu einem echten Vorzeigehund, stets freundlich, selbst in Situationen, die für normale Hunde bedrohlich wirken. Es schien, als sei es weit außerhalb von Thilos Vorstellungsvermögen, dass jemand ihm etwas Böses wollen könnte; immer reagierte er souverän- freundlich auf jede noch so plumpe Annäherung von Menschen.

Nur vor dem Tierarzt hatte er panische Angst und der fleischgewordene Alptraum aus der Bildzeitung verwandelte sich bereits im Wartezimmer in ein zitterndes Häufchen Elend, das sich unter dem Stuhl verkriechen wollte. Aber auch unter dieser massiven Anspannung kannte Thilo nur eins: den Rückzug. Niemals drohte er auch nur.

Leider war Thilo krank und das ziemlich häufig mit diversen Erkrankungen und Weh- wehchen. Angefangen von der Futtermittelunverträglichkeit, über HD bis hin zu Infekten und entzündeten Abszessen hatte dieser Hund alles und litt fürchterlich. Ständig musste man ihn betüddeln, pflegen und zum Tierarzt schleppen. Pfotenschuhe, Trichter, Salben, Shampoos und Cremes begleiteten uns fast sein ganzes Leben lang.

Mein Traum von einem Sporthund platze jäh mit der Diagnose HD Grad E.
Ich rechnete damit, ihn früh gehen lassen zu müssen.

Ich kaufte ihm ein beheiztes Hundewasserbett, damit er es stets warm hatte und seine kaputte Hüfte weich gebettet war. Er bekam Physiotherapie und mit Unterstützung einer lieben Spenderin des Tierschutzvereins Goldimplantate. Ich kaufte ihm Mäntelchen und Pullover gegen Verspannungen. Ich kaufte ihm einen Fahrradanhänger, damit er trotz der HD mit auf Radtouren kommen konnte. Ich legte ihm eine weiche Decke vor den Kaminofen.

Und immer wollte dieser Hund: mit ins Bett, mit aufs Sofa, am liebsten eingekeilt irgendwie halbwegs auf einem drauf oder zwischen den Knien liegen und stets dabei sein.

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Bei Gewitter hatte er große Angst und suchte bei mir Schutz.
Ich hatte die Wahl, entweder ihn unter die Bettdecke lassen und schlafen, oder sein Gejammer die ganze Nacht (auch nach dem Gewitter!) ertragen. Ich entschied mich, ihn bei Gewitter ins Bett zu lassen. Ich wollte eigentlich nur einen Hund haben und wurde unfreiwillig Mutter, Mutter von einem 25 kg "Kampfhund".

Thilo wurde sogar richtig sozialkompetent mit anderen Hunden.
Nur mit Schäferhunden wurde er niemals warm, deshalb war er vermutlich auch beim ersten Termin mit der ersten Trainerin am Zaun so ausgeflippt, weil sie nicht nur Labradore hatte, sondern auch einen Schäferhund, und dieser ganz vorne am Zaun stand.

In seinem Leben ist Thilo viel rumgekommen, hat viele Urlaube mitgemacht und oftmals wollten fremde Menschen ihn einfach so streicheln, weil er eine so nette Ausstrahlung hatte. Meist waren die Leute dann ganz verwundert, dass er ein „Kampfhund“ sein sollte.

Im Restaurant lag er ruhig unter dem Tisch und bekam von den Kellern kleine Leckereien zugesteckt. Fuhr er im Fahrradanhänger mit freuten sich die Leute über seinen Anblick; auf dem Beifahrersitz im Cabrio winkten die Leute ihm zu und lächelten. Selbst Mütter erlaubten ihren Kindern, ihn zu streicheln, und Thilo liebte Kinder.

Thilo kam auch gut mit Weidevieh, Pferden und Katzen aus, blieb bei Wildsichtung ruhig und abrufbar. Umso verwunderter war ich, als Thilo, mittlerweile etwa 12,  eines Tages gar nicht auf mein Rufen reagierte. Klammheimlich war er nach einer Ohrenentzündung taub geworden und ich hatte es nicht bemerkt, weil er als gut erzogener Hund beim Anblick von entgegenkommenden Menschen oder Hunden selbstständig zu mir kam.

Ich ließ ihn also angeleint und wir fingen an, unsere Spaziergänge nicht mehr zu genießen, denn er war zuvor immer frei gelaufen, was bei seiner Abrufbarkeit selbst in wildreichen Gebieten kein Problem war. Erst die Konditionierung auf ein Vibrationshalsband gab uns unsere Freiheit zurück.

Als er 13 war hatte er eine Art Zusammenbruch, und ich glaubte zum ersten Mal, dass er sterben könnte. Sein Herz war schwach geworden und er bekam Herzmedikamente und Entwässerungstabletten. Erst später wurde die eigentliche Ursache, eine Schild- drüsenunterfunktion, diagnostiziert, die Medikation umgestellt und es gab nochmal einen Aufschwung.

Trotzdem nagte der Zahn der Zeit an ihm, diverse Schmerzmedikamente wurden ausprobiert, um ihm die Schmerzen der verschlissenen Gelenke zu nehmen. Wir drehten nur noch kleine Runden, ich trug ihn Treppen rauf und runter, hob ihn ins Auto und raus, fuhr ihn im Cabrio und im Fahrradanhänger mehr, als er lief.

Trotzdem kam es sehr überraschend, als Thilo schnaufend wie eine Dampflock zu mir ins Bad kam, als ich mich gerade für einen Grillabend fertig machte. Ich brauche nicht erwähnen, dass ich den Grillabend absagen musste und den Nottierarzt aufsuchte.

Der schlappe Thilo berappelte sich vor lauter Adrenalin bereits im Wartezimmer.
Es gab eine Spritze und man schickte uns heim.

Zuhause angekommen war Thilo zu schwach, um aus der Hundebox rauszukommen. Ich fuhr in die Tierklinik und trug ihn rein, legte ihn auf einem Rollwagen ab.

Da lag mein Thilo, er wusste wo er war, aber er war zu schwach, um vom Rollwagen zu springen und unter die Stühle zu verschwinden. Ich ahnte, dass ich ihn nicht lebend wieder mit nach Hause nehmen würde. Als er ohne Gegenwehr bei vollem Bewusstsein eine Ultraschalluntersuchung und Röntgenaufnahmen über sich ergehen ließ, war es schon fast eine Gewissheit.

Bis auf einen kleinen Tumor auf der Milz war nichts zu sehen, aber seine Atmung war flach, schnell und seine Durchblutung bei rasendem Herzschlag schlecht. Sein Kreislauf war schlecht, sehr schlecht.

Ich wusste was das bedeutet und noch mehr wusste ich, dass Thilo zu schwach war um eine Not-OP zu überleben. Die Tierärztin riet mir ebenso davon ab, also ließen wir ihn gehen.

Noch immer ist es schwer für mich zu wissen, dass Thilo bei mir (seiner „Mutter“) Hilfe gesucht hat, und meine einzige Antwort darauf war, ihn zu einem Tierarzt (in seine persönliche Hölle) zu schleppen und töten zu lassen.

Ich bin ein rationaler Mensch und weiß, dass es keine andere Lösung gab um ihm weiteres Leid zu ersparen. Trotzdem bleibt es emotional schwierig für mich, obwohl ich weiß, dass ich richtig gehandelt habe.

Thilo ist ungefähr 15 geworden, und ich bereue keine Sekunde ihn, aus dem Tierheim geholt zu haben; trotz des kleinen Vermögens, das ich wegen ihm beim Tierarzt gelassen habe. Trotz der Tatsache, dass er zu krank war für meine eigentlichen Pläne als Sporthund und der anfänglichen Probleme bei der Erziehung.

Thilo war ein wunderbarer Begleiter, der in jeder Situation immer souverän und gelassen blieb.

Ich vermisse ihn sehr.

17.12.2022

19.12.2022


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

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