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Sina

Ihre Großömigkeit gibt sich die Ehre...

In Erinnerung an Birgit, die leider viel zu früh im Februar diesen Jahres verstorben
und nun wieder mit Sina und all ihren anderen Schätzchen vereint ist.
Diese Geschichte erschien ursprünglich am 24.12.2009 im Adventskalender.

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Das erste Mal berührten sich mein Lebensweg und der der älteren Hündin im Juni 2007 beim Tag der Offenen Tür in dem Tierheim, das sie und ihre Gefährtin einige Wochen vorher als Fundhunde aufgenommen hatte.

Den Nordischen sehr verbunden und damals selbst Besitzer zweier solcher, habe ich mich natürlich nach der Hündin erkundigt, erfuhr, dass nur eine gemeinsame Vermittlung der auf etwa zehn Jahre geschätzten Hunde in Frage käme und dass die von mir gesehene Auffälligkeit an den Augen chronischer Art sei.

In den folgenden Monaten verstarb mir erst völlig unerwartet der Rüde und die deutlich ältere, an diversen Krankheiten leidende Hündin folgte ihm Anfang April 2008.

Nur Tage später bekam ich eine Mail von einer Bekannten, die die ältere Hündin bei einem Besuch im TH vor kurzem wiedergesehen hatte und deren Gesamtzustand - ihre Gefährtin war zwischenzeitlich verstorben - sie sehr in Sorge versetzt hatte.

Eine zweite Mail sandte sie einem Verein für Nordische Hunde und erreichte, dass ich mich mit ihr am 8. April 2008 am Tierheim zum Ausführen der älteren Hündin und anschließender Berichterstattung an die Geschäftsführung des Vereins für Nordische traf.

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Obwohl eigentlich gewarnt, traf mich der Anblick der älteren Hündin dann doch unvorbereitet.

Aus den Auffälligkeiten unter den Augen waren großflächige, offene Stellen geworden, die einen schon beim bloßen Hinsehen schmerzten. Dazu war sie sehr mager geworden, Rippen und Rückenwirbel waren unter den Händen deutlich spürbar, dafür aber kaum Muskulatur.

Übergeben wurde sie uns am Endloswürger, ein Geschirr verbot man uns; bislang habe man keine Gelegenheit gehabt, um zu testen, ob sie sich daraus nicht herauswinden würde.

Wir hielten es dann wie die Nordischen „Anweisung gehört und bei gegebener Zeit darauf zurückkommen“, zogen der älteren Hündin problemlos auf einem nahen Parkplatz ein Geschirr an und starteten auf den halbstündigen Gang, den man uns erlaubt hatte.

Der Bericht an den Verein für Nordische Hunde beinhaltete die dringende Bitte, sich für die Hündin einzusetzen; auf unser beider Wunschzettel ganz oben stand eine Übernahme.

Leider war dies dem Verein aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, da bereits eine Vielzahl von nicht mehr vermittelbaren Patentieren in Pflegestellen versorgt werden musste, und ein weiterer alter kranker Hund einfach nicht mehr finanzierbar sei.

Ob eine von uns bereit wäre, den Hund aufzunehmen, wenn es gelingen würde, das TH zu einer Herausgabe auf einen Pflegeplatz zu bewegen?

Meine Bekannte hatte bereits eine ältere Hündin zu Hause sowie einen Mann, der keinen zweiten wollte, und ich hätte zwar theoretisch eine Vielzahl von Gründen gewusst, warum es bei mir auch nicht ging, aber in der Praxis bekam ich das Wörtchen „nein“ nicht über die Lippen. Ich hoffte einfach, die Bemühungen des Vereins würden im Sande verlaufen, da sich das TH in der Vergangenheit bei einigen Gelegenheiten wenig aufgeschlossen für neue Wege gezeigt hatte.

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Nicht unerwartet tat sich wochenlang nichts mehr, allerdings war der Verein noch immer „am Ball“ und fragte regelmäßig im TH an, wie weit die Entscheidungsfindung des dortigen Vorstandes gediehen sei.

Mitte Mai ging dann alles ruckzuck; an einem Freitag fand eine Vorkontrolle bei mir statt, die damit endete, dass man mir das Abholen des Hundes für den nächsten Morgen quasi vorschrieb.

Dem Termin sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen, denn vieles, was ich gerne als wichtig im Vorfeld abgeklärt gewusst hätte, war verwehrt worden.

Ich wusste nicht, ob die Hündin sich ins Auto laden lassen würde, das Treppenhaus bis in den zweiten Stock laufen oder freundlich zu meinem Sohn sein würde – es hätte an jedem der Punkte scheitern können.

Vor Ort wurde im Gespräch gleich mehrfach festgestellt, dass man mir – abgesehen von der Augenerkrankung, deren Auswirkungen allerdings durch eine eben erst erfolgte systematische Cortison- Therapie fast abgeheilt seien - einen absolut gesunden Hund übergebe. Einen Rest der ihr verordneten Augensalbe erhielt ich nur auf Nachfragen und nach längerem Suchen.

Innerlich begann ich bereits zu beten, dass sie wirklich so gesund sein möge wie angegeben.

Ihren Endloswürger hatte sie immer noch dran und er verließ auch mit ihr das TH, einen anderen Hundehals sollte er nie mehr malträtieren. Auf dem nahen Parkplatz tauschte ich den Würger gegen ein normales Halsband - irgendwo muss ja die Marke mit der Telefonnummer dran - die Leine kam sowieso ans Geschirr, jenes das sie auch beim Spaziergang schon getragen hatte.

Ins Auto stieg sie nach einem kurzen Gang problemlos und verhielt sich während der Fahrt schon fast zu still, ich hatte eigentlich erwartet, dass sie die Vielzahl der Hundegerüche zu eifrigem Schnüffeln animieren würde – Fehlanzeige.

Zuhause angekommen liefen wir noch ein paar Meter und gingen dann ans Projekt „Treppenhaus“, das alles noch im letzten Moment zum Scheitern hätte bringen können – Die alte Hundedame lief es ohne Schwierigkeiten und ohne zu Stutzen, sie kannte also definitiv Wohnungshaltung.

Eine erneute Überraschung erwartete mich in der Wohnung.
Ich ging als erstes mit ihr zu dem eher abgelegen stehenden Hundekorb und sie schien es als Ziel des Tages anzusehen, stieg hinein und verließ ihn für Stunden nicht mehr.

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So etwas, nämlich absolutes Desinteresse an der Umgebung, hatte ich trotz vieler Pflegis und eigener Hunde noch nie erlebt – kein Rundgang durch die Wohnung, kein intensives Schnüffeln am zwar gereinigten, aber sicher nicht geruchslosen Korb, alles schien egal und vollkommen bedeutungslos.

Ich begann zu ahnen, dass hier irgendwie alles anders sein würde als sonst.

Naiv wie ich war, dachte ich tatsächlich, an der Teilnahmslosigkeit der alten Hündin würde sich vielleicht etwas ändern, wenn erst die schmerzenden sowie stark belastenden Auswirkungen der Augenerkrankung (Augenzwang, also zwanghaftes Wischen mit den Vorderpfoten bzw. Reiben des Kopfes an Gegenständen) erfolgreich behandelt wären.

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Doch noch war unser erster Tag nicht vergangen, der noch weitere Überraschungen für mich bereit hielt.

Die alte Hündin schlief und schlief. Irgendwann dachte ich, es müsste doch langsam die Zeit gekommen sein, die Blase wieder mal zu entleeren – Ich zog mich an, holte Halsband, Geschirr und Leine und sprach die Schläferin vorsichtig an. Es passierte nichts, auch nicht auf lautere Ansprache.

Ein vorsichtiges Schütteln am Hundekorb ließ sie immerhin ein Auge etwas öffnen.
Ich hielt die „Ausgehsachen“ in ihr Blickfeld, und sie schloss das Auge ungerührt.

Und nun?

Ich zog sie also soweit möglich in schlafend liegendem Zustand an; es war ihr vollkommen gleichgültig

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und ich musste sie schließlich förmlich aus dem Körbchen nötigen.

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Der folgende kurze Spaziergang gestaltete sich entsprechend:
Sie überquerte die Straße, pullerte und hätte am liebsten umgedreht.

Ich dachte an so etwas wie Ankurbeln des Kreislaufs und motivierte sie zu einer winzig kleinen Runde, die sie lustlos hinter mir hertrottete – meine Ratlosigkeit wuchs.

Wieder in der Wohnung zeigte ich ihr zumindest mal Küche und Wassernapf, aus dem sie ein paar Schluck nahm, danach führte ich sie noch auf den Balkon – für gewöhnlich sind Nordische ja gerne draußen, und der Tag war selbst für einen alten Hund sonnig genug, um wohlige Wärme auf den Fliesen zu erzeugen.

Da schien sie zumindest mal einer Meinung mit mir zu sein, suchte sich zielstrebig einen Platz an der Wand, legte sich hin und schlief umgehend wieder ein.

Erwartungsgemäß gestaltete sich das Thema „Futter“ ebenfalls schwierig, das war schon im TH ein Riesenproblem gewesen, das ich nun an der Backe hatte – Ich werde nie das Gesicht meiner Mutter (selber seit Jahrzehnten Hundebesitzerin) vergessen, als die alte Lady angesichts der ihr bei einem Besuch angebotenen Fleischwurst nur angewidert und verächtlich den Kopf abwendete.

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Trockenfutter war ein No-go, Nassfutter war pro Sorte und Geschmacksrichtung kaum mehr als einer Mini-Mahlzeit würdig. Sie fraß nur das, was zum Überleben absolut notwendig war und nicht einen Krümel mehr – es war deprimierend.

Ich lernte, dass Leckerlie und Hundekekse mitunter größere Chancen auf Verzehr hatten und irgendwann war es mir vollkommen gleichgültig, ob das, was in ihr landete, gesund oder weniger gesund war, Hauptsache, es kam überhaupt was in den Magen.

Innerhalb weniger Wochen hatte ich ein Keks- und Leckerlie-Vorratslager, das jedem Zoohandel Ehre gemacht hätte, in unzähligen Dosen lagerten die einzelnen Sorten, nur darauf wartend, angeboten und öfter verschmäht als gefressen zu werden. Sie war mehr als eigen und wenn sie – im übertragenden Sinne – Lust auf saure Gurken hatte, konnte ich mit eingelegten Maiskölbchen eben abfahren….

Zu gute halten muss man der alten Dame, dass sie in all ihrem Tun absolut konsequent war. Sie sammelte draußen nichts auf oder wenn doch, wurde es sorgfältig vergraben; selbst ein Stückchen Wurst ließ sie unterwegs vollkommen kalt. Sie nahm auch keinerlei Speisen vom Tisch oder besser Reste derselben, keine Nudeln, keinen Joghurt, nur selten Wurst und dann nur ausgesuchte Sorten – etwas zu fressen in sie hineinzubringen war ein tagtäglicher Kampf.

Ein Besuch im örtlichen Schlachthof verschaffte zumindest für einige Wochen etwas Erleichterung, das dort in Blöcken angebotene gefrorene „Hundefutter“ fraß sie zunächst in gekochtem Zustand etwas besser, bestand aber darauf, dass es durch nichts, aber wirklich absolut nichts von mir „verseucht“ wurde. Also kein Gemüse, keine Nudeln, kein Reis, keine Kartoffeln oder sonstigen Dinge untergemischt wurden – Eine einzige Nudel reichte ihr, um einen gesamten Napf als „nicht fressbar“ zu deklarieren.

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Es dauerte keine zwei Monate, dann war auch diese Form der Fütterung gestorben, sie hatte allerdings endlich etwas zugenommen.

Da sie weiterhin jede Art von Hundefutter ablehnte, bot ich ihr einzelne Fleischsorten gekocht an (beim Anblick und Geruch von rohem Fleisch wich sie entrüstet zurück).
Schließlich stapelten sich in meiner Kühltruhe viele verschiedene Dosen mit gekochtem, geschnittenem und anschließend in Würfeln eingefrorenen Fleischsorten und jeden Tag aufs Neue versuchte ich herauszubekommen, nach was ihr der Sinn stehen könnte – Die Mikrowelle wurde des Auftauens wegen in jener Zeit mein wichtigstes Haushaltsgerät.

Gesundheitlich ging es, wenn auch zäh, voran.
Die offenen Stellen unter den Augen waren schwieriger zu behandeln gewesen als ich anfangs gedacht hatte; über lange Wochen musste sie, wenn ich nicht auf sie achten konnte oder schlief, einen Trichter tragen. Zu stark war der Zwang, den juckenden Stellen mit den Vorderpfoten zu Leibe zu rücken, deren Innenseiten total rötlich verfärbt waren bei ihrem Auszug aus dem Tierheim.

Wir salbten und reinigten alle paar Stunden, etwas das bis zu ihrem Tod auch so bleiben sollte, auch wenn die Abstände dazwischen später von zwei auf etwa vier Stunden hochgingen.

Da sie nur reines Prednisolon vertrug und keinerlei andere Corticoide, war die Augensalbe ein sehr kostspieliges Vergnügen. Dazu kam jede Menge Bepanthen-Augensalbe, da beide im Wechsel aufgetragen wurden, und Mull-Läppchen, um den Bereich vorher etwas von der auslaufenden Tränenflüssigkeit zu säubern.

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Denn das war das eigentliche Übel:
Verlegte Tränenabflusskanäle und eine Haut, die der Dauerbelastung der ständig auslaufenden, recht reizenden Tränen nicht mehr stand gehalten hatte, was den Verdacht nahe legte, dass dieses Problem schon lange vor ihrem Aussetzen bestanden hatte.

Im Vergleich zum Problem auf der genau entgegengesetzten Seite des Hundes, dem Hinterteil, war das mit den Augen jedoch noch nahezu ein Klacks.

Schon am ersten Wochenende, dem ihres Einzugs, hatte ich bemerkt, dass sie mehr als nur häufig unterhalb des Schwanzes am Schlecken war, das rötlich verfärbte weiße Fell signalisierte, dass auch das nicht erst seit gestern so sein musste.
Als Ursache fielen mir als erstes die Analdrüsen ein, die ich am folgenden Montag auch gleich vom Tierarzt untersuchen ließ und die wie erwartet mehr als voll waren. Das Ganze auf eigene Kosten, da ich mich angesichts der mehrfach getätigten Feststellung „der Hund sei top gesund“ nicht an das Tierheim heranzutreten traute.

Vor allem auch, weil ich wusste, dass die Entscheidung, die Hündin in Pflege zu geben nicht von jedem dort gut geheißen wurde und mancher sogar vehement dagegen gewesen war – Kurz, ich hatte einfach Bedenken, man würde gleich den Eindruck haben, „ich mache Ärger“ (wie von einigen erwartet) und die Hündin müsste zurück ins TH, und das wollte ich ihr auch nicht antun - Sie schlief doch so glücklich tief und fest in ihrem Hundekorb...

Nach dem Tierarztbesuch wusste ich auch, dass das Herz der alten Hündin bereits ein leichtes Nebengeräusch hatte, das beobachtet werden musste, das Blutbild allerdings war angesichts des Gesamtzustandes nicht einmal so schlecht gewesen, bot aber leider keine Erklärung für die „Lethargie“ der alten Dame.

Da bald die Impfung anstand versuchte ich, beim TH das Einverständnis zu bekommen, die Schläfrigkeit und Unlust ansprechen zu dürfen und den Termin etwas vorzuverlegen, was so auch befürwortet wurde.

Wirkliche Ergebnisse brachte es nicht.
Ich hätte gern Karsivan versucht, was schon so manchen alten Hund etwas „gepuscht“ hat, stieß damit beim behandelnden Arzt jedoch auf wenig Gegenliebe. Es wurde aber ein Röntgen des Brustkorbs gemacht, nochmals ein Blutbild erstellt und die Schilddrüsenwerte erhoben – wäre alles nicht meine persönliche erste Wahl gewesen und blieb ohne Befund. Man riet mir, den Zustand als gegeben zu akzeptieren.

Karsivan besorgte ich also nach Rücksprache mit meinem TA auf eigene Kosten und tatsächlich wurde die alte Dame deutlich mobiler, stand teilweise freiwillig zu den Spaziergängen auf und war freudiger und motivierter unterwegs.

Die Fresserei blieb allerdings gleichbleibend schlecht.

Da sie Karsivan auf Dauer nicht vertrug, steigen wir auf Gingko um, das Resultat nicht ganz so gut, aber doch deutlich besser als ohne jeden „Anstoß“.

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Wir konnten uns also wieder auf das Problem am Heck konzentrieren, denn da wurde munter weiter geschleckt, kaum dass ein paar Tage seit dem Leeren der Analdrüsen vergangen waren. Letzten Endes stellte sich heraus, dass wir mit einer fast schon chronisch gewordenen Analbeutelentzündung kämpften.

Diese hielt uns fast ein halbes Jahr in Atem, besondere Schwierigkeit dabei auch, dass die alte Dame jede Einnahme jedweder größerer Tabletten kategorisch ablehnte und in ihrem langen Leben so ziemlich jeden Trick kennengelernt hatte, wie diese zu verstecken wären.

Meine ebenfalls gut gefüllte Trickkiste reichte eben noch für eine einwöchige Gabe, danach ging gar nichts mehr – im Laufe der Behandlungsmonate mussten wir zweimal Tag um Tag in der Praxis aufschlagen um Antibiotika wegen schlimmer und eitriger Analbeutelentzündungen spritzen zu lassen.

Kurz vor Weihnachten 2008 hatten wir allerdings das schier unmögliche Geglaubte doch erreicht. Nach unzähligen Spülungen mit anschließender Medikamenteneinlage direkt in die Analbeutel und einem weiteren Antibiotika-Zyklus waren die Analdrüsen bei der Kontrolle eine Woche später weiterhin unauffällig und somit der Zeitpunkt für ein zeitweises Veröden mittels eines in die Analbeutel eingebrachten Medikamentes erreicht.

Dieses Verfahren war ein Tipp einer Tierklinik-Mitarbeiterin aus einem Forum gewesen, in deren Praxis das bereits häufig mit Erfolg bei älteren, nur bedingt narkosefähigen Hunden angewandt worden war. Die Haltbarkeit war bei den einzelnen Patienten von stark unterschiedlicher Dauer – wir allerdings hatten enormes Glück:

Nach diesem Tierarztbesuch war das Thema Analbeutel bis zu ihrem Tod am Ende des folgenden Sommers keines mehr. Dafür hier ein großes Dankeschön an „unsere“ Tierarztpraxis, die sich ganz offen auf dieses Verfahren eingelassen hat.

Den Alltag jenseits der gesundheitlichen Probleme hatten wir uns deutlich schneller nach den Bedürfnissen der alten Hündin eingerichtet.

Gassigänge fanden meist dann statt, wann es Ihrer Großömigkeit (diesen Beinamen hatte sie ob ihrer zahllosen Eigenheiten und vor allem der Charakterstärke, mit der diese vertreten wurden, rasch weggehabt) recht war.

Morgendliche Spaziergänge fanden in der Regel niemals vor neun Uhr morgens statt; dass wir erst gegen zehn oder später ins Freie kamen war auch nichts Besonderes.

Statt wie bei meinen früheren Hunden vier oder fünf Runden täglich zu drehen, lief ich nun eben nur noch drei, wobei sie die letztere gern öfter mal „geknickt“ hätte. Auf der bestand ich allerdings vehement und irgendwann ließ sie mir meinen Willen, setzte aber durch, dass dieser letzte Gang nur über die Straße führte, dort ohne Umschweife gepullert werden konnte und umgehend der Rückweg angetreten wurde.

Mit den Wochen und Monaten fand ich mich damit ab, dass mich meist kein Hund beim Heimkommen begrüßte, dass die einzige, die beim Klingeln zur Tür lief, ich selber war, und dass ich auch alleine kochte. Nicht einmal wenn ich für sie Fleisch kochte oder ein Hähnchen entbeinte, leistete sie mir Gesellschaft.

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Ich lernte damit umzugehen, dass sie selten Freude zeigte, wenn es auf einen Spaziergang ging, obwohl ich mittlerweile wartete, bis sie von sich aus durch „Wachsein“ signalisierte, dass es rein theoretisch (für die Blase) Zeit wäre.

Besucher betraten die Wohnung mitunter ebenso unbemerkt von ihr, wie sie sie auch wieder verließen; sie stand hier auf dem Standpunkt „wer etwas von mir will, darf mir gern seine Aufwartung am Körbchen machen“. Besondere Aufmerksamkeit war selbst bei offenstehender Wohnungstür nicht gefragt; all diese Dinge hatten für sie keinerlei Bedeutung oder gar Priorität mehr.

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Und dennoch war ich nicht unglücklich in diesen Monaten, sie war ein unkomplizierter und alltagstauglicher Hund, ein Ruhepol, der auf seine Art bestens in mein Leben passte.

Dieses bereicherte sie enorm durch kleine, ganz unerwartete Geschenke.
Momente, in denen sie wirkliche Freude oder Lebhaftigkeit zeigte.

Diese spärlichen Augenblicke, in denen sie manchmal sogar ihre Zuneigung zu mir in Gesten oder Handlungen packte, zeigten mir, dass sie mich auf ihre Weise mochte und zumindest nicht unglücklich war mit ihrer Situation.

Manchmal, wenn sie einen richtig guten Tag hatte und für kurze Strecken mit vollem Zug vorneweg strebte - ganz Schlittenhund und mit diesem ganz besonderen Lächeln der Nordischen auf dem Gesicht - da wurde mir vor Glück richtig warm ums Herz (und wird es in der Erinnerung immer noch).

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Unvergessen auch jene wenigen Gelegenheiten, bei denen sie trippelnd und aufgeregt aus der Tür strebte, im Treppenhaus vielleicht sogar einen Freudenbeller von sich gab – Kostbare Augenblicke, in denen sie so unglaublich lebendig und vital erschien, so fröhlich und unbeschwert.

Kaum eine Handvoll Mal war sie bei meinem Heimkommen vor Freude schier aus dem Häuschen und sprang zur Begrüßung an mir hoch – Momente, die mir für lange Zeit wieder das sichere Gefühl gaben, es war richtig und gut, so wie es war und lief, auch wenn es ganz anders war als alles, was ich bisher kannte in Sachen Zusammenleben mit einem Hund.

Vielen Hundehaltern werden von ihren Vierbeiner tagtäglich in unzähligen, oft ganz alltäglichen Situationen eine Fülle von positiven Gefühlen wie Freude oder Zuneigung entgegengebracht, was oft dazu führt, dass es als „normal“ empfunden und bewusst so gar nicht mehr wahrgenommen wird. Im Gegensatz dazu waren die kleinen Beweise von Zuneigung und Vertrauen Ihrer Großömigkeit in ihrer Spärlichkeit für mich besondere Momente, die wie Sterne am Abendhimmel funkelten, und die einem Tag einen besonderen Glanz verliehen.

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Es hätte eigentlich (das Thema Fressen einmal ausgenommen, das war wirklich dauer- frustrierend) ewig so weitergehen können, doch längst lief die Zeit gegen uns, oder besser gegen mich.

Mit Beginn des Jahres 2009 stellte ich einen ungewöhnlichen Geruch an der alten Hündin fest, eine Blutuntersuchung zeigte, dass die Ursache wohl bei den Nieren zu suchen war. Das Herzgeräusch hatte sich verschlimmert. Ein Herzultraschall fiel dennoch besser aus als gedacht, aber von nun an benötigte das Organ medikamentöse Unterstützung, das gleiche galt auch für die Nieren.

Die weitere Entwicklung – wie schnell sich alles verschlimmern würde – war offen, und so entschied ich mich, zügig die eigentlich noch tolerierbaren Zahnbeläge der älteren Hundedame entfernen zu lassen. Bei dieser Zahnsanierung wurden an allen vier Eckzähnen tiefe und entzündete Zahntaschen gefunden, die gereinigt und anschließend mittels Laser etwas gekürzt wurden. Zu unser aller (meiner und der Tierarztpraxis) Verwunderung entspannte dieser vergleichsweise kleine Eingriff die Ernährungssituation deutlich, für ihre Verhältnisse fraß ihre Großömigkeit über Wochen gut und vergleichsweise problemlos.

Das Frühjahr und der Sommer verliefen ruhig, sie kultivierte ihre Eigenheiten und ich nannte mich scherzhaft nur noch „ihrer Großömigkeit unfähiges Personal“. Dennoch war unübersehbar, sie baute auf allen Gebieten mit enormer Schnelligkeit weiter und weiter ab.

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In der Tierarztpraxis hätte man eigentlich eine Drehtür für uns einbauen können, ihre Freßgewohnheiten und die fortschreitende Nierenschwäche gingen halt partout nicht zusammen. Dennoch hatte ich noch die Hoffnung auf einen gemeinsamen Herbst und vielleicht sogar Winter – es hat nicht sollen sein.

Der Zusammenbruch Ende Juli kam unerwartet, direkt im Anschluss an eine jener unendlich glücklichen Sequenzen, in denen sie freilaufend am Ufer eines kleinen Flusses ein, zwei kleine Spurts hingelegt hatte und so fröhlich, so glücklich wie selten wirkte.

Ich leinte sie anschließend an, wir gingen noch vielleicht hundert Meter weiter und sie fiel einfach um...

Das Bewusstsein erreichte sie erst nach vielen langen Minuten wieder, kurz bevor wir etwa eine halbe Stunde später in der TA-Praxis ankamen, wo sie umgehend an den Tropf gehängt wurde.

Lange, fast eine Stunde, verharrte sie liegend und eigentlich vollkommen reglos, um dann wie Phönix aus der Asche aufzuspringen und allen Umstehenden unmissverständlich ihren Willen „Weg hier – sofort!“ mitzuteilen.

In diesem Moment glaubten wir alle, sie würde sich wieder erholen - ein Irrglaube...
 Trotz aller unserer Bemühungen wurde sie in den nächsten Tagen weniger und weniger, fraß gar nicht mehr und zog sich immer weiter von allem zurück.

Mit jedem Tag mehr spürte ich, dass sie nun endgültig entschlossen war zur Abreise und wir sie nur aufhielten mit unseren Herz- und Nierenmedikamenten, unseren Infusionen und Spritzen, unserem Zuspruch und anderen Versuchen, ihr das Leben nochmals nahe- zubringen.

In gewisser Weise konnte ich sie verstehen, denn daran, dass sie eigentlich nicht vorhatte, länger zu bleiben, hatte sie schon am Tag ihres Einzugs keinen Zweifel gelassen und mich wieder und wieder daran erinnert – sie war dennoch fast fünfzehn Monate geblieben, wohl auch für mich.

Leb wohl, meine geliebte Großömigkeit und danke für die mir, die uns geschenkte Zeit.
Denn mit ihrer uncharmant charmanten Art, die Dinge zu sehen und zu leben, hatte sie innerhalb des KSG-Forums viele Freunde gefunden, die sie tatkräftig dabei unterstützten, solange als möglich Gefallen an ihrem Aufenthalt zu finden.

Hier wäre meine Geschichte zu Ende gewesen, aber auf Wunsch von Marion, Betreiberin der Webseite Couch-gesucht und Initiatorin dieses Adventskalenders, füge ich noch den Nachruf bei, den ich für Ihre Großömigkeit, liebevoll das Ömchen genannt, geschrieben hatte.

Reisende soll man nicht aufhalten

Ich stelle mir das Ömchen vor wie eine Reisende.

Als ich sie aus dem Tierheim holte, hockte sie bereits auf gepackten Koffern, Ziel der Reise das Wiedersehen mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin und Freundin. Dass ich noch daher kam und zu einem kleinen Zwischenstopp auf dieser Reise einlud, war so von Ömchen nicht vorgesehen und eigentlich auch nicht gewollt.

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Als prinzipiell freundliche alte Dame und wohl auch ein bisschen wegen der nie endenden Neugierde, die den Nordischen bis ins hohe Alter erhalten bleibt, hat sie sich darauf eingelassen, noch einmal Halt zu machen. Ihr Köfferchen hat sie hier ins Eck gestellt und nur das Allernötigste ausgepackt; sie hat niemals einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie diesen ihren Aufenthalt hier als einen vorübergehenden betrachtete.

Das Ziel ihrer Reise hat sie in all der Zeit hier nie aus den Augen verloren und immer sorgfältig aufgewogen, ob das hier Angebotene reizvoll genug war, das Weiterreisen noch ein wenig aufzuschieben. Mit den Tagen, Wochen und Monaten wurde der Wunsch, nun ans Ziel der Reise zu gelangen wohl stetig größer und irgendwann fast übermächtig.

Heute schließlich zog das Ömchen ihr Reisekostüm an, strich mit einer prüfenden Bewegung das Gewand glatt, setzte ihr Hütchen auf und rückte es vor dem Spiegel zurecht. Mit einem schnellen Griff vergewisserte sie sich, dass sie, für den Fall, dass es ein Abschiedstränchen aus dem Augenwinkel zu tupfen galt, eines ihrer weißen Spitzentaschentüchlein in der Jackentasche hatte.

Sie ließ einen letzten prüfenden Blick durch das Zimmer gleiten, ob auch wirklich alles eingepackt war. Sie nahm ihr Köfferchen und warf beim Gang zur Ausgangstür noch in jeden der anderen Räume einen kontrollierenden Blick; dorthin, wo sie hinzureisen gedachte, werden keine Nachsendungen zugestellt.

Das Sprichwort sagt zu Recht „Reisende soll man nicht aufhalten“ und so brachte ich das Ömchen schweren Herzens und mit Tränen in den Augen samt ihrem Köfferchen zum Bahnsteig, wo sie ohne Zögern den Zug bestieg.

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Ich hätte mir so sehr gewünscht, sie wäre noch ein wenig länger geblieben...
 

23.12.2022

01.12.2023


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Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

Niemals ein Tier verschenken, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es erwünscht ist!!
Und niemals ein Tier für jemand anderen aussuchen - Die “Chemie” muss stimmen!

Eltern sollten sich immer bewusst sein, dass SIE die letztendliche Verantwortung für ein Tier haben und nicht das Kind - Egal ob Hund, Katze oder Meerschweinchen und egal, was man vorher sagt!!

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