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Nelly

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Nach dem Tod meiner Hündin Lisa hatte ich kurzfristig die Idee, mal ein Weilchen ohne Hund zu leben.
Einmal für ein paar Wochen nach Spanien vielleicht, die eingerosteten Sprachkenntnisse wieder richtig auf Vordermann bringen, das hätte mir gefallen können.

Der Verlust meines alten Mädchens schmerzte auch gewaltig, ich wollte das vorerst nicht wieder erleben und da mein Herz nun mal den Hundesenioren gehört, kam ein junger Hund (bei dem es bis zum Abschied etwas länger gewesen wäre) nicht in Frage. Also wollte ich ein bisschen pausieren und beschloss, die noch ungeöffneten Hundefutterpackungen und Leckerchen, die meine Lisa hinterlassen hatte, im Tierheim abzugeben.

Auf dem Weg dorthin kam ich dann doch ins Grübeln. „Sollte ich nicht vielleicht doch nach einem Hund schauen?“ Ich kam mit mir überein, dass ich erstmal nicht nach einem Hund schauen wollte. Meine Lisa war gerade erst eine Woche tot, das würde sie, die ihr Zuhause nach dem Tod ihres Mitbewohners Rex nicht mehr teilen wollte, sicherlich nicht gutheißen.

Im Tierheim angekommen ging ich also ins Verwaltungsgebäude und lieferte meine Gaben ab, worauf dann eine der Mitarbeiterinnen meinte „Ach Seniorenfutter, das ist bestimmt was für unser Lieschen.“

Mir blieb fast das Herz stehen. Lieschen, hatte diese Frau gerade wirklich Lieschen gesagt? So hatte ich meine Lisa immer genannt...

War das vielleicht ein Zeichen, sollte ich mir diesen einen Hund mit diesem speziellen Namen nicht vielleicht doch anschauen?

Aber ich wollte meine wohl durchdachte Entscheidung nicht von so einem blöden Zufall wieder umkrempeln lassen. Ich hatte mir die Entscheidung ja schließlich auch nicht leicht gemacht und außerdem war es eine vernünftige Entscheidung, fand ich. Ich machte mich also auf den Heimweg und erklärte mir selbst mehrfach, dass ich mir jetzt wegen so einem Namen nichts einreden sollte. So was wie Zeichen oder Schicksal oder ähnlichen Quatsch gibt es nicht.

„Lieschen“ – es ließ mir eigentlich keine Ruhe, aber ich hatte ja ganz vernünftig entschieden, dass ich erst einmal nicht nach einem Hund schauen wollte.

Tja, und ob man es glaubt oder nicht, der Weg, den ich eigentlich zurückfahren wollte, war wegen eines umgestürzten Baums gesperrt. Selbst für Radfahrer wie mich. Ich betitelte dies als zwingenden Zufall, dreht wieder um und nahm Kurs gen Tierheim. Wenn ich sowieso noch einmal zurück musste, dann konnte ich mir dieses Lieschen ja doch mal anschauen.

„Es ist bestimmt sowieso ein großer Hund“, beruhigte ich mich. Denn für mich stand fest, dass der nächste Hund ein kleiner werden sollte. Ich wohnte zwar nur im 1. Stock, aber dennoch wollte ich meinen nächsten Hund im Zweifelsfall problemlos die Treppen rauf und runter tragen können.

Und wie ich noch so vor mich hin überlegte, ging ich auch schon die Zwinger ab. Und dann sah ich sie – Lieschen: klein, schwarz, handlich und einfach zuckersüß. So stand sie da mit erkennbar blinden und entzündeten Augen.

An ihrem Zwinger war sogar relativ viel Andrang, sie war aber auch zu niedlich, wie sie da so verloren stand. Bei ihrem Anblick überkam einen unwillkürlich der Drang, sie dort rauszuholen und fortan in Watte zu packen.

Ein Blick auf die Karte mit den näheren Angaben zu ihr ließ potenzielle Interessenten aber schnell weiterziehen. „Sehr alt“ stand dort – gut wer einen vierbeinigen Partner fürs Leben bzw. einen Teil seines Lebens sucht, den kann so etwas schon abschrecken. Nicht aber einen eingefleischten Seniorenfan wie mich.

Ich ging mit der kleinen Hündin also ein Ründchen spazieren und erfuhr, dass sie nicht nur blind, sondern auch taub war, gerade eine schwere Gebärmuttervereiterung hinter sich gebracht hatte und die Augenentzündung behandelt wurde. Der Tierarzt hatte die ihr voraussichtlich noch verbleibende Lebenszeit mit „noch diesen Sommer vielleicht auch noch den Herbst“ angegeben.

Tja, eins stand fest:
Dieser kleine Hund würde die Zeit bis zu meiner Rückkehr aus einem Urlaub, der, wenn überhaupt, sowieso erst in 3 oder 4 Monaten erfolgen würde, vermutlich gar nicht überleben und wahrscheinlich alleine, blind und orientierungslos im Tierheim sterben. Das kam natürlich nicht in Frage. Es war ja noch nicht mal klar, ob ich überhaupt Zeit für einen Urlaub haben würde. Da konnte ich dieses kleine Wesen, dem die Zeit davonlief, doch nicht einfach auf Verdacht, nur weil ich ja irgendwann in der Zukunft möglicherweise etwas vorhaben könnte, zum Sterben im Tierheim lassen.

Da ich mit dem Fahrrad da war, konnte ich die Kleine aber nicht sofort einpacken. Ich wollte auch noch 1 Woche mit der Übernahme warten, weil ich diese Zeit noch für den inneren Abschied von meiner Lisa brauchte. Ich meldete Interesse an, hinterließ aber keine Adresse, weil ich nicht damit rechnete, dass man sich um diesen kleinen, alten, kranken Hund reißen würde.

Zu Hause richtete ich in den kommenden Tagen alles so nach und nach her. Kleinere Näpfe wurden gekauft. Eine kleinere Leine musste her. Auch neue Leckerchen wurden eingekauft. Und den letzten halben Beutel Hundefutter bekam dann eben doch nicht der Hund meiner Freundin. Und so ein bisschen Auswahl musste natürlich auch noch rangeschafft werden. Es könnte ja gut sein, dass ihr dieses Hundefutter nicht schmeckte.

Letztendlich ernährte sie sich übrigens vorwiegend von Bio-Geflügelwürstchen, Croissants, Hunde-Milchdrops und Kartoffeln mit Soße (bei einem Hund in dem Alter war es mir nur wichtig, dass sie überhaupt was fraß – noch ein Vorteil von Senioren, man kann auch beim Füttern öfter mal Fünfe grade sein lassen und inkonsequent sein).

In die Trauer um meine verstorbene Lisa mischte sich Vorfreude auf dieses kleine schwarze Wesen und ich hatte das Gefühl, dass es gut und auch vernünftig war, sie aufzunehmen. Wenn man einen leeren Platz hat und einen Hund gefunden hat, für den man sich begeistern kann, dann kann es nur vernünftig sein, diesen Hund aus dem Tierheimzwinger in ein neues Zuhause zu befördern.

Während dieser Tage der Vorbereitung und des inneren Abschieds von meiner verstorbenen Hündin schrieb ich in einem Internetforum in einem Beitrag, der eigentlich von etwas ganz anderem handelte, von dieser kleinen schwarzen Hündin, die ich im Tierheim gesehen hatte und aufnehmen wollte.

Kurz drauf erhielt ich eine persönliche Mitteilung von einem Forenmitglied, das zufällig in dem Thema mit meinem Beitrag gelandet war, weil es nicht hatte schlafen können. Sie bat mich, mich dringend mit ihr in Verbindung zu setzen.

Es stellte sich heraus, dass eine ihr bekannte Tierfreundin auf der Suche nach einem Zweithund auf die kleine schwarze Hündin getroffen war und sie nach einigem Überlegen dort aus dem Tierheim geholt hatte, da die kleine Hündin dort offenbar überhaupt nicht klar kam und sie ja nicht wissen konnte, dass ich sie drei Tage später abholen wollte.

Das Forenmitglied hatte aufgrund der Angabe meines Wohnorts im Profil festgestellt, dass ich genau diese Hündin gemeint haben könnte. Mittlerweile war die kleine schwarze Hündin bei einer Tierärztin untergebracht, wo sie bereits erfolgreich eine Zahn-OP hinter sich gebracht hatte, da sich an den Zähnen Eiterzysten gebildet hatten, die vermutlich auch die Ursache für die entzündeten Augen waren.

Einige Mails gingen hin und her. Ich telefonierte mit der Tierfreundin, die die kleine Hündin aus dem Tierheim übernommen hatte. Sie hätte gerne ein Zuhause für den Hund gehabt, wo so gut wie immer jemand zu Hause ist und wo es keinen Gartenteich gab, was bei ihr nicht gegeben war. Ich wiederum arbeite von zu Hause aus und habe keinen Gartenteich mit Lebensgefahr für kleine blinde Hunde. Worauf man so alles achten muss mit so einem zuweilen recht orientierungslosen Hund...

Also zog die kleine Hündin schon am Nachmittag desselben Tages hier ein. Allerdings wurde sie mir nur unter der Prämisse übergeben, dass ich meinen Namenswunsch ändere. Der Name Lieschen passte zwar wunderbar zu ihr, aber ich konnte sie wegen meiner gerade verstorbenen Hündin einfach nicht so nennen. Eigentlich wollte ich sie ja Dolores taufen, aber wir einigten uns dann auf Nelly.

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Als sie hier ankam, machte sie sich direkt über das Futter her und fand auch sofort den Korb, den sie für gut befand.

Sie war ein wirklich ganz besonderer kleiner Hund und ich habe sie jeden Tag aufs Neue dafür bewundert, mit welcher Lebensfreude sie ihr Leben trotz aller Behinderungen meisterte.

Mit welchem Vertrauen sie mir begegnete und sich von mir führen ließ.

Ihre Zipperlein wie Blindheit, Taubheit und Arthrose konnten ihren Lebensmut nicht schmälern. Nelly war stets gut gelaunt und unverzagt und hat sich nie unterkriegen lassen.

Ich habe sie immer meine ondulierte Omi genannt. Hätte ich beschreiben sollen, wie ich sie mir als Mensch vorstelle, dann hätte ich sie als eine ältere Dame mit leichtem Violettstich im frisch ondulierten Haar beschrieben – so ein ganz kleines bisschen etepetete, aber nur ein kleines bisschen.

So eine, die den Enkeln immer heimlich was zusteckt und bei der man alles darf.
So eine, die so viel Trinkgeld gibt, dass es den Betrinkgeldeten schon fast peinlich ist.
So eine, bei der man sich allen Kummer von der Seele reden kann, die dabei aber noch mal eben mit kurzem unauffälligen Blick in den Spiegel prüft, ob ihre Haare auch richtig liegen.

Als dann hier ein kleiner Notfallkater einzog, nahm Nelly diesen gelassen hin. Auch wenn sie erst drei Wochen später wirklich bemerkte, dass hier nun noch jemand wohnte.

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Sie teilte mit dem Kater auch ihre zahllosen Hundebetten. So manch einer hat mich wegen Nellys Körbchen-Parade belächelt, aber sie hatte doch so wenig, was sie im Leben noch aktiv machen konnte.

Und sie liebte es, zwischen verschiedenen Schlafgelegenheiten zu wechseln und mal ein Stündchen in diesem Körbchen zu liegen, mal eine Weile im nächsten Körbchen zu schlafen und sich dann für ein Weilchen auf einem Hundekissen auszuruhen.

So kaufte ich Hundebett um Hundebett und Hundekissen um Hundekissen. Nelly liebte sie alle.

Auch den Einzug eines weiteren Hundes nahm sie sportlich. Sie kletterte zweimal auf den Neuzugang und legte sich auf ihn drauf – das war wohl ihre Art zu sagen „Hey, ich bin aber hier der Chef“ – fortan lebte sie dann friedlich mit der Neuen zusammen.

Sie marschierte jeden Tag eifrig ihre Runden und in Sachen Fitness konnte sich noch so manch jüngerer hinter meiner kleinen Nelly verstecken. Sie war alles in allem einfach ein kleiner Sonnenschein mit einer Engelsgeduld. Stundenlang zog sie freundlich und fröhlich mit Nachbars Tochter, die meine Nelly so gerne an der Leine führte, Runde um Runde um die Wiese.

Brav versuchte sie, mich wachzuhypnotisieren, wenn sie nachts mal raus musste. Was leider nur selten klappte, aber versucht hat sie es bestimmt immer.

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Sie war ein Hund ohne jegliche Macken – bis auf die Tatsache, dass sie Croissants klaute wie ein Rabe und dabei für einen kleinen, blinden Hund wirklich gefährliche Manöver wagte (wie z.B. über den Umweg Sofa auf Tische zu klettern) und dass sie es liebte, im Katzenklo zu schlafen (sie bekam ein eigenes mit Katzenstreu mit Babypuderduft, der es ihr so angetan hatte, nur zum Schlafen für sie).

Na ja, eine weitere Macke hatte sie noch. Auch wenn es eigentlich keine Macke war, für das Leben mit Nelly war es aber ein Problem. Sie bellte so gut wie nie. Auch nicht, wenn sie wirklich in Bedrängnis war und sich nachts z.B. in den offenen Kleiderschrank verlaufen hatte. Ich weiß gar nicht, wie oft ich den Hund morgens suchen musste.

Mal war sie in die Dusche vorgedrungen, mal steckte sie hinter dem Sofa oder unter dem Bett... Auch wenn ihr die altersbedingt schwachen Hinterbeine wegrutschten und sie nicht mehr hochkam, auch dann meldete sie sich nicht.

Also wurden sämtliche Fliesen, die wegen ihrem leichten Hang zur Inkontinenz eigentlich der optimale Bodenbelag waren, mit Teppichen, Brücken etc. überdeckt. Denn mit den eigens für sie erworbenen Hundesocken mit Stoppern, die ich ihr nachts anziehen wollte, damit sie nicht wegrutscht und im schlimmsten Fall stundenlang mit weggerutschten Hinterbeinen auf dem Boden liegt, bewegte sie sich einfach gar nicht, sondern lag mit hoch gestreckten Beinen auf dem Rücken im Korb und schaute zum Steinerweichen aus der Wäsche.

Nelly wusste schon was sie wollte und was sie nicht wollte. Socken an den Füßen haben wollte sie jedenfalls nicht.

Sie hat den Sommer wie prognostiziert bei bester Laune und Gesundheit überlebt, ebenso wie den Herbst. Im Winter war ihre Laune nicht die Beste, da sie den Schnee nicht mochte. Kein Wunder, er ging ihr ja auch fast bis zum Bauch. Aber auch im Winter erfreute sie sich bester Gesundheit. Im Frühjahr lernte sie sogar noch, dass Frauchen zur Hilfe eilt, wenn sie bellt.

Dann stellte sich heraus, dass ihre verbliebenen Zähne wieder ganz übel vereitert waren und Antibiotika nicht halfen. Sobald das Antibiotikum abgesetzt war, lief ihr der Eiter wieder regelrecht an den Zähnen entlang. Sie wirkte auch nicht so lebensfroh wie sonst – vermutlich hatte sie heftige Zahnschmerzen. Schweren Herzens und mit der Angst, ihr Todesurteil gefällt zu haben, habe ich mich dann entschieden, sie in ihrem hohen Alter noch einmal an den Zähnen operieren zu lassen. Und siehe da, sie hat die OP weggesteckt wie nichts und sich bestens davon erholt.

Ich war eigentlich sicher, dass sie nun frisch gestärkt und dank Anabolikaspritzen auch wieder gut bemuskelt in den Sommer starten würde. Doch Nelly hatte andere Pläne.

Nur 1,5 Wochen nach der OP ist sie auf ihrem Lieblingskissen für immer eingeschlafen – still und leise, wie sie nun einmal war, ist sie auch abgereist.

Manchmal frage ich mich, ob sie sich vielleicht schon während der OP gerne verabschiedet hätte und nur noch einmal zurückgekommen ist, damit ich mir keine Vorwürfe mache. Es würde zu ihr passen.

Auch wenn diese Geschichte mit dem Tod meiner kleinen Nelly endet, ist es doch ein Happy-End. Ein Happy-End, das es nur dank diverser zwingender Zufälle geben konnte.

Nelly musste nicht alleine, blind und orientierungslos im Tierheim sterben, sondern sie konnte nach 10 schönen Monaten in einem sicheren Zuhause, in denen sie mir unglaublich viel Freude bereitet hat, friedlich inmitten ihrer Hundekissen und Körbchen, mit zwei Leberwürsten im Bauch diese Welt verlassen.

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03.12.2009

05.12.2009


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

Niemals ein Tier verschenken, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es erwünscht ist!!
Und niemals ein Tier für jemand anderen aussuchen - Die “Chemie” muss stimmen!

Eltern sollten sich immer bewusst sein, dass SIE die letztendliche Verantwortung für ein Tier haben und nicht das Kind - Egal ob Hund, Katze oder Meerschweinchen und egal, was man vorher sagt!!

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