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Sultan

Oder warum alte Hunde die besseren Liebhaber sind
(Geschrieben 2002)

Als mein Freund und ich vor rund einem Jahr das Tierheim Manresa besuchten waren wir uns einig: "Wir nehmen auf keinen Fall einen Hund mit"! Eigentlich wollte ich immer schon einen Hund. Einen großen - einen alten - und aus dem Tierschutz sollte er sein. Aber auf keinen Fall jetzt und in dieser Situation, die große Verantwortung und überhaupt ...

Wir halfen also vor Ort mit und bemühten uns, die vielen traurigen Augen zu übersehen  bloß keine besondere Beziehung zu einem der Tierheiminsassen aufbauen! Immer daran denken: "Wir nehmen auf keinen Fall einen Hund mit"!

Das dachten wir auch, als wir den alten Griesgram "Sultan" und seine Freundin "Murmel" wieder einmal auf einen Spaziergang mitnahmen. Wir blieben bei dieser Meinung  auch wenn es uns leid tat, das der alte Kerl aufgrund fehlender Muskulatur und Arthrose kaum 10 Minuten am Stück laufen konnte. Außerdem saß er bereits seit zwei Jahren im Tierheim ein, ohne je einen wirklichen Interessenten gehabt zu haben. Alte Hunde haben eben kaum eine Chance auf (schnelle) Vermittlung. Sultan brummelte und grunzte vor sich hin und wir blieben stark! Vorerst ...

Je näher der Tag unserer Abreise kam, desto unruhiger wurden wir. Ohne mit dem anderen darüber zu sprechen (schließlich waren wir uns ja einig keinen Hund mitzunehmen) ging uns der alte Sultan nicht mehr aus dem Kopf! Wir überlegten  jeder für sich  wie es wohl wäre, den dicken Kerl mit nach Hause zu nehmen. Ob ich ihn mit ins Büro nehmen dürfte? Was unsere Katzenwohl davon hielten? Wir hatten noch nie einen Hund und uns beschlichen viele Zweifel ... Andererseits wollten wir ihn auch nicht einfach zurücklassen. Der arme Hund ...

Als dann herauskam das wir beide die gleichen Gedanken hegten, wurden alle Zweifel mit einem Wisch über den Tisch gefegt! Zusammen schaffen wir das!

Den Schutzvertrag zu unterschreiben und den alten Brummbär ins Auto zu packen war eins! Uns überfiel ein großes Glücksgefühl und wir traten  mit dem schlafenden Sultan auf dem Rücksitz die zweiwöchige Rückreise nach Hause an.

Auf dem ersten Campingplatz - mitten im Wald traten dann die ersten Probleme auf. Sultan hatte sich die Rückbank unseres VW-Bullis als "sein Reich" auserkoren und war mit netten, schmeichelnden Worten nicht mehr vom Gegenteil zu überzeugen. Kam man ihm zu nahe, fletschte er die Zähne und sein lautes Knurren flösse uns einen höllischen Respekt ein! Was also tun?

Rauf auf den Kerl und aus dem Auto befördern! Ich glaube, das ich im Leben noch nicht so eine Angst vor einem Hund hatte wie in diesem Moment! Sultan schnappte um sich und wir banden ihn erst einmal mit einer langen Leine an die Hinterachse des Bullis, um "Sicherheitsabstand" zu gewinnen.

Diese Aktion wiederholte sich täglich in allen möglichen und unmöglichen Situationen. Futter durfte man ihm nicht wegnehmen (schon gar kein "geklautes"), aus dem Bulli wollte er nicht raus  dann nicht wieder rein, bekam er nicht was er wollte wurde geschnappt, geknurrt, gebellt ... Wurde man laut oder hat mit ihm geschimpft verschlimmerte sich die Situation nur noch.

Wir waren verzweifelt und völlig ratlos! Warum reagierte Sultan bloß so aggressiv auf uns? Wir waren enttäuscht hatten wir ihm doch nur helfen wollen ... Rat gab uns schließlich ein gutes Buch über "Problemhunde", welches in der nächsten größeren Stadt gekauft wurde.

Wir lernten das nicht der Hund sondern WIR das Problem waren. Uns wurde bewusst, das Sultan nicht aggressiv war sonder schlicht und ergreifend Angst hatte! Über seine Vergangenheit können wir nur rätseln und es wird vermutet, das Sultan sein Leben als Kettenhund verbringen musste. Klar das er den Menschen gegenüber misstrauisch war ... Wir beratschlagten und kreierten unsere eigene kleine "Hundeschule" um Sultan beizubringen, was man als gesitteter Hund eben können muss.

Wichtig war vor allem Sultans Vertrauen zu gewinnen, damit ein stressfreies Zusammenleben überhaupt möglich wurde. Von nun an wurde jeden Tag geübt. Sultan wusste schließlich nicht das die Leine ein Ende hat, das Menschen auch nett sein können und Fotoapparate nicht beißen. Die Rangordnung wurde neu festgelegt und er bekam seinen eigenen "Hundeteppich", auf den er sich zurückziehen konnte. Von da an lief die Reise problemloser ab und wir freuten uns darauf, mit dem dicken Kerl nach Hause zu kommen.

Natürlich ergaben sich in der neuen Wohnung auch wieder neue Probleme. So ganz vertraute sich Sultan uns noch nicht an und auch hier waren Rangordnungskämpfchen an der Tagesordnung! Konsequenz und Geduld hießen die Zauberwörter und wir lernten  durch unseren charakterstarken Hund  sehr viel über uns selber. Wir freuten uns über jeden noch so kleinen Fortschritt und jetzt  beinahe ein Jahr nach der wohl besten Entscheidung unseres Lebens  kann ich sagen, das sich die Mühe, jede vergossene Träne und jede Auseinandersetzung gelohnt hat!

Seitdem Sultan einmal verstanden hatte das ihm von uns kein Leid droht, ist er der anhänglichste und liebenswerteste Kumpel den man sich nur wünschen kann! Seine kleinen Macken und Eigenarten sind uns so teuer geworden, daswir sie nicht mehr missen möchten. Sicher ist er ein alter, bummeliger Sack mit schiefen Zähnen, Arthrose und dezenter Fettleibigkeit - aber was soll es ... Schließlich sind auch wir nicht perfekt und das hat er uns mit seiner mehr als direkten Art sehr wohl gezeigt!

Wenn er heute "brummt" weil ihm etwas nicht passt, nehmen wir ihn schlicht und ergreifend nicht ernst. Er weiß sehr wohl was er darf und was nicht und hält sich auch daran (schließlich kennt er unsere Konsequenz  die hat er uns ja selber beigebracht) meckern tut er trotzdem.

Auch hat er sich nicht abgewöhnt gleichzeitig mit dem Schwanz zu wedelt und die Zähne zu blecken. Er hat schon ein komisch zusammengestelltes Repertoire an hündischer Körpersprache - sicher hatte er früher nie Gelegenheit diese richtig zu lernen. Wir verstehen ihn trotzdem und wissen seine manchmal etwas unbeholfene Art zu nehmen.

Trotz seiner fast elf Lebensjahre genießt und fordert er seine täglichen Spaziergänge. Hielt er anfangs nur 10 Minuten durch, können wir mittlerweile schon über eine Stunde am Stück die Natur genießen. Als waschechter Bürohund begleitet er mich jeden Tag zur Arbeit und fungiert als beliebte Ausrede, die Arbeit einmal für eine kurze Zeit liegen zu lassen (schließlich muss jeder Hund gestreichelt werden). Er hat sich wunderbar in unser heimisches Mensch - Katze - Hund - Rudel eingefügt und anstatt nach uns zu schnappen, verteilt er nun großzügig Küsschen (auch an die Katzen).

Unser Vertrauen in Sultan ist mit der Zeit ebenso gewachsen wie das seine in uns. Verhält er sich doch einmal zickig, gibt es ein Pfötchen zur Entschuldigung und Sultan bemüht sich sehr, ja nicht unangenehm aufzufallen. Sein treu doofer Blick ist bei allen Menschen die ihn kennen berühmt berüchtigt.

Die drollige und manchmal etwas unbeholfen wirkende Art unseres Sultans, sein in uns gesetztes Vertrauen und die sich täglich wiederholenden Liebeserklärungen an uns geben uns Recht: Alte Hunde sind einfach die besseren Liebhaber!

Sultan starb im Januar 2005 im Alter von 13 Jahren. Die Schmerzen, die er aufgrund starker Arthrose und HD erleiden musste, ließen keinen Aufschub mehr zu. Ich vermisse ihn sehr und habe die Entscheidung, einem alten und vermeidlich unverträglichen Hund ein neues zuhause gegeben zu haben, niemals bereut. Jedesmal wieder würde ich mich für einen "Unvermittelbaren" entscheiden, denn es muss nicht ein Welpe oder Junghund sein, der unser Herz im Sturm erobert.

Oft sind es die geschundenen, die ungeliebten und nicht gewollten Tiere, die unsere Liebe zu ihnen in wunderbarer und nicht aufzuwiegender Weise zurück geben, uns bedingungslos folgen und uns vertrauen, wohin wir auch gehen.

© Luzia
 

02.12.2005

04.12.2005


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