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Magnus

Auch mein wiederholtes Umdrehen im Bett half nicht:

Das Telefon klingelte penetrant und laut!

Ich versuchte, mir einzureden, dass ich einen schlechten Traum hätte – aber diese Täuschung klappte nur kurz.

Es war mitten in der Nacht und ein Anruf um diese Zeit KONNTE nichts Gutes bedeuten.
Obwohl mein Pferd schon einige Jahre verstorben war, lösten nächtliche Anrufe immer sofort Panikgefühle in Richtung “Er hat eine Kolik, schnell einen Tierarzt“ aus.

Ich ging mit ungutem Gefühl ans Telefon und die männliche Stimme fragte sachlich, ob ich die Person sei, die sich mit Hunden auskennen würde.

Nachdem ich das bejahte, stellte sich der Anrufer als Polizist vor.
Er fragte mich, ob es mir möglich sei, jetzt zu einem bestimmten Ort an der Land- kreisgrenze zu kommen. Sie hätten dort Probleme mit einem großen Hund, der niemanden an sich heran lassen würde, aber auch nicht gewillt war, seinen Standort zu verlassen.

Dummerweise hatte der Hund sich eine vierspurige Brücke über die Elbe gehend ausgesucht, um Ärger zu machen.

Ich teilte dem Polizisten mit, dass es mindestens 45 Minuten dauern würde, bis ich vor Ort sei.
Kein Problem für ihn, ließ er mich wissen und klang dabei sehr erleichtert, dass ich ihn nicht einfach abgewimmelt hatte.

Mein Mann war zum Zeitpunkt des Anrufes auf einer Geschäftsreise.
Ich versuchte, die Hunde zu beruhigen, denn normalerweise bedeutete aus dem Bett steigen und anziehen, dass der Morgengang bevorstand. Diesmal große Enttäuschung in ihren Gesichtern und ungläubiges „Hunde-Platz“ befolgen.

Ich versuchte mich zu konzentrieren:
Eine Fangstange, Katzen-Dosenfutter, Leberwurst, Halsband und Leine erschienen mir sinnvoll mitzunehmen, und so brach ich mitten in der Nacht gut ausgerüstet auf.

Vor Ort waren zahlreiche Polizeiwagen, etliche mit blauem Licht und einige Polizisten versuchten, den nächtlichen, zum Glück nicht zahlreichen Verkehr am Hund vorbeizulenken.

Ich stieg aus meinem Auto und sah den wunderschönen Hund – einen stattlichen Dobermann-Rüden.
Ein herrliches Exemplar, der nicht im „modernen Stil“ gezüchtet war (sehr schlank, sehr nervös), sondern einen großen, massigen, aber leicht unterernährten Körper hatte.

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Die Polizisten vor Ort kamen auf mich zu und teilten mir mit, dass der Rüde hoch aggressiv sei und niemand in seine Nähe lassen würde.

Ich bat darum, dass sich alle deutlich entfernter aufhalten würden und wollte erst einmal austesten, wie der Rüde reagieren würde.

Leider trug diese Schönheit kein Halsband, also nahm ich einen breiten Lederriemen und legte ihn mir um meinen Hals. Meine Handinnenflächen rieb ich mit Leberwurst ein, eine Leine band ich um den Bauch.

In diesem Aufzug konnte der Rüde keine Gefahr für ihn erkennen und würde hoffentlich nicht gleich flüchten, wenn ich näher kam.

Ich vermied jeglichen Augenkontakt, musste aber immer wieder heimlich zu ihm hinschielen, denn dieser Hund hatte mich mit seiner Schönheit komplett erwischt. Was für ein Beau!

Ich redete beim sehr langsamen Näherkommen mit verliebtem Gesäusel auf ihn ein und war erstaunt, dass er mir interessiert zuhörte und keinerlei Abwehr erkennen ließ.

Ich sprach – so gut es mit meiner tiefen Stimme möglich war - in hoher, schmeichelnder Stimme auf ihn ein, blieb auch stehen, redete aber immer weiter. Ich erinnere mich gut, dass ich niesen musste und dachte voller Unbehagen an seine mögliche Flucht...

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Nichts dergleichen geschah; er legte den Kopf erstaunt schief und wirkte eher neugierig.

Nach einigen Niesern ging ich weiter in seine Richtung, aber nicht auf ihn zu. Und es war offensichtlich:
Er war interessiert, was ich da veranstalten würde.

Als ich einen kleinen Kreis von ihm weg einschlug, kam er in wenigen Tippelschritten ein paar Meter in meine Richtung. Ich hielt an, er ebenso.

Dann hockte ich mich hin, kratzte mit einer Hand sehr intensiv auf dem Asphalt herum und änderte meine Sprachmelodie. Ich war nun völlig gebannt durch dieses famose Stückchen Asphalt unter meinen Fingern, die weiter darauf herumkratzten.

Und mein schöner Großer kam ganz, ganz langsam in meine Richtung und war nach einigen Minuten zum Greifen nah. Keinerlei Geknurre oder sonstige Abwehrhaltung - nur Neugierde.

Ich nahm meine Hand sehr langsam von der interessanten Asphalt-Stelle weg und extrem langsam streckte ich sie neben mir flach über der Straße mit der Innenfläche nach oben aus. Dazu stimmte ich wieder meinen einschläfernden Singsang-Ton an und wartete.

Ich hatte es absolut nicht zu hoffen gewagt, aber nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich den Schönen dicht neben mir schnüffeln, und prompt begann er, meine Hand-Innenfläche abzulecken!

Ich hätte am liebsten laut gejubelt, aber es galt, weiterhin in dieser unbequemen Hocke zu verharren und abzuwarten.

Als der Große auch den letzten Leberwurst-Rest abgeleckt hatte, versuchte ich geschmeidig, mich in seine Richtung zu drehen, um ihm die zweite Hand anzubieten. Leider ist es mit meiner Geschmeidigkeit nicht weit her und so agierte ich recht ruckartig, was zur Folge hatte, dass der Große einen Riesensatz rückwärts machte und nicht mehr entspannt wirkte.

Meine Beine waren am Einschlafen und ich setzte mich einfach auf die Straße, denn mit einer Attacke des Schönen rechnete ich auf keinen Fall.

Alle weiteren Aktionen zogen sich ewig hin.
Er kam letztendlich wieder näher, eroberte die zweite Handfläche und machte keine Fluchtanstalten.

Als beide Hände komplett abgeleckt waren, legte ich sie neben mich und erzählte dem Rüden, wie schön er sei und das er ein Traumhund wäre.

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Nach langer Zeit – es waren aber nur etwa zwanzig Minuten – zog ich ganz langsam das Lederhalsband von meinem Hals, hielt es sehr langsam in seine Richtung und er schnupperte wieder neugierig.

Irgendwann wagte ich, meinen Arm in seine Richtung zu strecken, und er machte einige wenige Schritte und ließ sich ohne Gegenwehr, ohne Angst anfassen. Ich streichelte ihn sehr sanft, immer das Halsband in der Hand haltend und wagte im Laufe des beginnenden Morgens, ihm das Halsband anzulegen und auch die Leine daran zu befestigen.

Dann trotteten wir beide zu meinem VW-Bus und mir wurde etwas mulmig beim Gedanken, ihn in eine der fest eingebauten Hundeboxen setzen zu müssen. Zum Glück hatte ich zu Beginn der Aktion schon die Aluschale mit dem Katzenfutter geöffnet. Der Wagen roch danach und ich konnte den Großen in die Box locken.

Da es sich um einen Fundhund handelte, musste er leider in den viel zu kleinen Zwinger der Gemeinde, der ohne jeglichen Auslauf versehen ist. Der Große ließ sich ohne Probleme in den Zwinger bringen und fiepte nur kurz auf, als ich zum Auto zurück ging.

Normalerweise blieben die Fundtiere bis zum Abdruck der Fundanzeige in der Kreiszeitung in diesem Zwinger. Meldete sich kein Besitzer, holte ich sie zu mir aufs Grundstück mit sehr großem, sicher eingezäunten Gelände.

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Aber das Glück war auf unserer Seite:
Bei diesem Hund hatten die Arbeiter des Werkhofes Angst, sich dem Rüden zu nähern, der es spürte und sofort Oberwasser bekam. Er sprang wild bellend und knurrend gegen die Gitterstäbe und wirkte gefährlich.

Ich wurde gebeten, ihn früher abzuholen, und sein Umzug verlief völlig unauffällig.
Er freute sich, als er mich wiedererkannte, und ich hatte wieder Leberwurst in der Handinnenfläche – Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!

Alles verlief problemlos.

Bei mir Zuhause hatte ich einen Raum im Hundehaus für ihn hergerichtet.
Er war hochinteressiert an allen neuen Gerüchen, am Gebelle der anderen Hunde und wirkte dabei aber nicht übernervös oder gar hysterisch. Er witterte und registrierte lediglich alles Neue.

Bevor ich meine Vermittlungshunde auf meiner Website liste, muss ich sie ausführlich kennenlernen, was bei Hunden mit „Vorgeschichte“ seine Zeit in Anspruch nimmt.

Diesen schönen Rüden taufte ich Magnus, und als sich auch nach Monaten und wiederholtem Inserieren als Fundhund niemand meldete, begann die Routine:
Nach mehrmaliger Entwurmung wurde er gechippt, kastriert und geimpft sowie im Register gemeldet.

Ich verfasste einen Text, der deutlich machte, dass dieser Hund eine klare und konsequente Führung benötigen würde. Ich war zu der Einschätzung gekommen, dass seine Drohgebärden und seine lautstarken Äußerungen einer Unsicherheit entsprangen, und dieser Hund bei klarer Führung ein Traum wäre.

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Ein paar Mal im Gespräch mit meinem Mann deutete ich an, dass sich sicher keine geeigneten Leute finden würden – natürlich in der Hoffnung, dass dieser Hund in unserem Rudel bleiben dürfte...

Magnus verstand sich mit allen anwesenden Hunden beiderlei Geschlechts und war eine tägliche Freude.

Eines Tages erhielt ich einen Anruf von Interessenten, die ich zum Besuch einlud.

Das Paar lebte auf einem riesigen, hoch eingezäunten Grundstück in fast Alleinlage. Die Entfernung zu uns waren nur 20 km, also kein Problem für weitere Besuche.

Das Ehepaar hielt bisher Briards und Groenendaels, konnte also als hundeerfahren nicht ganz einfacher Rassen eingestuft werden. Nach dem vierten Besuch entschieden sich die beiden Leute für Magnus.

Bei meiner Vorkontrolle in deren Haus gab es nichts zu beanstanden, und mit Tränen in den Augen ließ ich meinen Schönen aus- und umziehen. Magnus hinterließ definitiv ein Loch in meinem Herzen.

Nach einiger Zeit riefen die neuen Halter an und bemängelten, dass er den Postboten aggressiv stellen würde, worauf dieser verlangte, dass ein Briefkasten am Grundstücks- eingang zu installieren sei.

Bei dem neuen Besitzer von Magnus schwang ein missmutiger Unterton in der Stimme mit, und ich bot ihm an, dass er mit von uns geliehenen Steckpfählen und Zaunlitze eine Art Paddock am Haus errichten könne, um Übungen konzentriert auf einem begrenzten Bereich durchführen zu können. Eine feste, kleinere Umzäunung als Ausweich-Platz innerhalb des einige Hektar großen Grundstücks wurde abgelehnt.

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Wir sprachen noch einige erzieherische Abläufe und Kniffe durch, um die Autorität der Halter zu festigen, und ich fuhr nicht sehr glücklich wieder nach Hause.

Mein Magnus war inzwischen umgetauft worden und wurde auf französisch „Berger“ gerufen.

Eine Woche später wieder ein Anruf zu unwirklicher Stunde – morgens um 5 Uhr.

Am Telefon ein aufgebrachter Mann, Magnus` Halter, der mir mitteilte, dass er und seine Frau nicht gewillt seien, eine bissige Bestie zu behalten.
 
Irritiert verlangte ich eine Erklärung und erfuhr, dass die erwachsene Tochter des Paares überraschenderweise mitten in der Nacht zu ihren Eltern aus dem Süden Deutschlands angereist war und ahnungslos die Haustür aufschloss, ohne zu wissen, dass sich im Eingangsbereich ein neuer, großer und ihr völlig unbekannter Hund befinden würde.

Magnus tat das, was als Job eines Dobermanns angesehen wird:
Er stürzte nach vorne zur Tür und biss der Tochter in den Arm.

Es muss tumultartige Szenen gegeben haben, bis endlich die Eltern kamen, Licht einschalteten und Magnus auf seinen Platz befahlen.

Ich erkundigte mich nach der Schwere der Verletzungen.
Bis auf zwei Bisse in die Unterseite der hochgereckten Arme, die zwar sicher sehr schmerzhaft waren, aber nicht genäht werden mussten, war wenig passiert. Wenn ich mir vorstelle, was ein Hund dieser Größe hätte anrichten können, wird mir ganz anders.

Tatsache war, dass die Halter keine Schuld bei sich oder der Tochter sahen, sondern sich schnellst- möglich der „Bestie“ entledigen wollten.

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Eine halbe Stunde später kam mein Magnus glücklich wedelnd wieder zu uns zurück und es gab keine Diskussionen mehr:

Er blieb bis an sein Lebensende, was zum Glück für mich noch fast weitere zehn Jahre waren.

Er war ein perfekter Wächter und neben zwei kleinen Verwarnungen per Maul, die beide nicht seine Schuld waren, gab es nie wieder einen Vorfall.

Bei Gedanken an Magnus wünsche ich mir oft, ich könnte ihn erneut im Rudel haben.
Sein absolutes Vertrauen mir gegenüber, seine Ausgeglichenheit und natürliche Autorität, sein freundliches Wesen mit allen anderen Hunden, die Sicherheit, die er auf Spazier- gängen in einsamen Gegenden vermittelte – alles das ist nicht zu ersetzen!

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23.12.2023

 


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

Niemals ein Tier verschenken, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es erwünscht ist!!
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