Milly’s Geschichte ist eine richtige Weihnachtsgeschichte. Milly ist nämlich erst vor wenigen Tagen eingezogen.
Milly ist eine ca. 12 Jahre alte, herzkranke und fast blinde kleine Hündin mit deformierten Vorderbeinen und einer hässlichen Geschwulst an der Seite. So kam sie eines Tages verwahrlost in eine Auffangstation auf Mallorca.
Kann man solch ein Wesen lieb haben? Und wie man kann!
Ich entdeckte Milly vor längerer Zeit im Internet. Seither ließ sie mich nicht mehr los. Ich speicherte ihre Seite und besuchte sie täglich, in der Hoffnung, diesen kleinen Wurm eines Tages unter den glücklich Vermittelten zu finden. Wochen und Monate vergingen, aber Milly fand kein Zuhause.
Nein, ich wollte keinen Hund aus dem Internet, keine Katze im Sack, die ich und meine drei anderen Hunde nicht vorher kennenlernen konnten.
Nein, Milly war nichts für uns. Für Milly würde sich schon jemand finden.
Niemand fand sich für Milly. Auch ein halbes Jahr später suchte sie noch ein Zuhause.
Und eines Tages war der Punkt erreicht, an dem ich es nicht mehr ertrug.
Ich hatte die Hoffnung inzwischen aufgegeben, daß sich jemand erbarmt hätte, und jeden Tag befürchtete ich die Nachricht zu entdecken, daß die kleine Milly die Regenbogenbrücke betreten hätte, ohne noch einmal – wohl das erste Mal in ihrem Leben – ein eigenes, liebevolles Zuhause erlebt zu haben.
Entgegen aller Bedenken nahm ich meinen Mut zusammen und bewarb mich für sie. Und es stellte sich sehr schnell heraus, daß Milly hier das Zuhause finden konnte, das wie für sie gemacht war.
Zunächst gab es noch kurzes Bangen: Würde der Tierarzt Milly’s Reise zustimmen? War sie fit genug, um den Flug ohne Komplikationen zu überstehen?
Der Tierarzt hatte keinerlei Bedenken und freute sich riesig.
Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, begann das Warten auf einen Flugpaten. Aber nachdem das Schicksal sich schon so für Milly bemüht hatte, war auch bald jemand gefunden.
Am 25.11.07 kam Milly am späten Abend am Flughafen an. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich hatte schreckliche Angst, ihr könnte unterwegs etwas zugestoßen sein; ihr kleines krankes Herz könnte die Aufregung nicht verkraftet haben. Niemals hätte ich mir das verzeihen können.
Und dann war sie da. Sie saß ganz ruhig in ihrer Box und versuchte, sich zu orientierten und zu verstehen, was mit ihr geschah. Sie drehte ihr Köpfchen vorsichtig hin und her, versuchte, mit den fast nutzlos gewordenen Äuglein etwas zu erspähen.
Ihre kleine Nase schnüffelte am Boxengitter, aber bei all den Gerüchen und dem Stimmengewirr wird sie ganz ratlos gewesen sein. Trotzdem schien sie zu spüren, daß das Schicksal es diesmal gut mit ihr gemeint hatte und ihr nichts zustoßen würde. Sie blieb ganz ruhig in ihrer Box sitzen, während ich sie zum Auto schob.
Milly’s neues Leben fing an.
Zuhause angekommen stapfte sie mit festen Schritten entschlossen aus der Box. Sie war überhaupt nicht scheu oder ängstlich, sie war einfach nur neugierig.
Was mag sie wohl gedacht haben?
Die erste Begegnung mit ihren drei Hundefreunden verlief völlig unspektakulär. Milly war auch gar nicht an ihnen interessiert, sondern wollte viel lieber ihr neues Heim erkunden. Überall lief sie schnüffelnd umher. Manchmal stieß sie irgendwo an, aber unverdrossen setzte sie ihre Erkundungsreise fort.
Wer meint, Milly hätte Mitleid nötig – weit gefehlt!
Schon seit dem ersten Tag zeigte sich, daß Milly mit ihrem Handicaps hervorragend zurecht kommt. Milly weiß genau, was sie will, und sie hat sich in ihrem neuen Rudel schon durchaus Respekt verschafft.
Nein, niemand muß Milly bemitleiden.
Milly kann sich wunderbar orientieren, sie kann laufen und hüpfen, sie genießt jede Streicheleinheit und hat den größten Appetit, den man sich nur vorstellen kann. Sie schnarcht wohlig in ihrem kleinen Bettchen, kuschelt sich ein und schläft tief und fest, um danach frisch gestärkt neue kleine Abenteuer zu erleben.
Es ist erstaunlich, wie schnell sie sich schon angeschlossen hat. Wenn sie nicht gerade eingeschlafen ist, tapst sie überall hinter mir her, und wenn sie mich mal verloren hat, wird sie ganz eilig und sucht.
Wacht sie im Schlaf auf, hebt sie ihr Köpfchen und versucht, mich zu orten.
Inzwischen ist sie schon wieder beruhigt, wenn ich sie kurz anspreche; dann rollt sie sich wieder ein und schlummert weiter.
Wenn ich mit ihr schmuse, sieht sie mich mit ihren großen, trüben Augen an. Ich weiß, sie kann mich nicht richtig sehen, aber sie sieht mit ihrem Herzen. Und nur damit sieht man gut.
Viele Menschen werden Milly abstoßend finden und hätten ihrem Leben schon längst ein Ende bereitet.
Aber Milly hat es verdient, noch einen wunderbaren Lebensabend genießen zu dürfen. Und sie kann das Leben genießen, das zeigt sie jeden Tag aufs Neue.
Wenn sie sich freut, wedelt ihr Schwänzchen ohne Unterlaß, ihr ganzer Körper wackelt, sie hüpft herum und gibt ihr unnachahmliches Bellen zum Besten.
Ihre Anhänglichkeit ist rührend und beschämend zugleich. Bestimmt hat sie von Menschen wenig Gutes in ihrem Leben erfahren, und doch ist sie voller Vertrauen und sucht menschliche Nähe.
Von Tag zu Tag blüht Milly noch mehr auf. Und von Tag zu Tag wird sie hübscher! Sie hat ihr eigenes, nur für sie genähtes Halsbändchen bekommen, und bald wird sie eine süße kleine Prinzessin sein.
Sicherlich ist das Leben mit einem alten, kranken Hund kein reines Zuckerschlecken. Vieles ist mit Milly schwieriger als mit meinen anderen Hunden, und es wird bestimmt viele schlaflose Nächte geben.
Aber dieser kleine Hund soll für den Rest seines Lebens glücklich und geborgen sein, und dafür lohnt sich jede Anstrengung und jede Unannehmlichkeit.
Ich hoffe, Milly kann ihren Lebensabend noch lange und unbeschwert genießen
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