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Linda

Eigentlich hatte ich als Single mit zwei Hunden und einer Katze genug Haustiere.
Ein weiterer tierischer Neuzugang war nicht geplant.

Und wenn ich mich doch mal zu dem Gedanken an die Aufnahme eines weiteren Vierbeiners hinreißen ließ, dann dachte ich dabei eigentlich immer eher an einen dritten Hund.
Die Aufnahme einer weiteren Katze kam mir eigentlich nie in den Sinn.

Und doch kam es so.

Einer Bekannten war am örtlichen Kindergarten eine Katze aufgefallen, die offenbar seit Tagen ver- zweifelt versuchte, sich dort Zugang zu verschaffen, aber immer wieder vor die Tür gesetzt wurde.

Da die Katze auch keine Scheu vor Autos zeigte und an einem Morgen mehrfach fast überfahren worden wäre, packte meine Bekannte sie kurzerhand in eine Hundebox in ihr Auto, um Schlimmeres zu verhindern.

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So stand sie da mit einer laut miauenden Katze im Wagen, die sie aufgrund von Katzen- haarallergien im Haushalt beim besten Willen nicht aufnehmen konnte. Und ich hatte kurz drauf eine recht verzweifelte Katzenretterin am Telefon. Ihr sei ja klar, dass ich genug Tiere hätte und gar keine Katze haben wollte. Aber sie wisse einfach nicht, was jetzt zu tun sei. Ob ich nicht was wüsste.

Wir fuhren mit der Katze erst einmal zum Tierarzt, in der Hoffnung, dass sie gechipt sein könnte und wir nichts weiter tun müssten, als die Katze wieder zu Hause abzuliefern. Doch es gab keinen Chip und der Pflegezustand ließ vermuten, dass das Tier kein Zuhause hatte.

Es war eine kleine Katzendame, grade mal ein halbes Jahr alt, die jede kleine Zuwendung dankbar annahm.

Aber wohin mit dem Tier?
Das Tierheim konnte sie erst am Folgetag aufnehmen. Bis dahin hätte die Katze auf dem Bauhof der Gemeinde ausharren müssen.

Jetzt wo ich erste zarte Bande zu der kleinen Katze geknüpft hatte, fiel es mir schwer, sie da abzuliefern. So vertrauensvoll wie sie sich beim Tierarzt im Behandlungszimmer an mich gekuschelt hatte, konnte ich sie unmöglich alleine auf dem Bauhof zurücklassen. Da war doch nach Feierabend keiner mehr vor Ort.

Na ja, diesen einen Tag könnte sie ja eigentlich auch bei mir bleiben.
Also zog die kleine Linda, wie ich sie mittlerweile nannte, vorübergehend und auch ganz bestimmt nur bis zum nächsten Tag bei mir ein.

Völlig angstfrei und mit der größten Selbstverständlichkeit bezog sie ihr neues Refugium, fraß sich satt und fand zielsicher das weichste Kissen im Wohnzimmer. Darauf kuschelte sie sich ein und schnurrte hingebungsvoll.

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Sie schien ihr Glück über ein weiches, sicheres Plätzchen kaum fassen zu können und zeigte sich als ebenso begeisterte wie ausdauernde Schmuserin. Immer wieder ließ sie sich vertrauensvoll den Bauch kraulen. Doch schon bald fielen ihr die Augen zu und sie verschlief den Rest des Tages. Sie hatte ja vermutlich auch eine anstrengende Zeit hinter sich.

Ich klapperte derweil die Häuser in der Umgebung ihres Fundortes ab.
Vielleicht gehörte sie ja doch irgendwo hin oder irgendwer wusste etwas.

Es stellte sich heraus, dass die kleine Linda offenbar schon seit Wochen alleine dort in der Gegend herumstromerte und immer wieder versuchte, sich Menschen anzuschließen. Sie zeigte dabei offenbar eine große Hartnäckigkeit, hatte aber leider keinen Erfolg und blieb so sich selbst überlassen.

Dass diese Geschichte nicht mit einer toten unbekannten Katze am Straßenrand endete, hat die kleine Linda vermutlich meiner Bekannten zu verdanken, die die Not dieser Katze ernst genommen hat.

Auch meinen Hunden begegnete die kleine Linda völlig angstfrei und offen und den Hunden war sie relativ egal, solange sie sich von ihren Hundebetten und Fressnäpfen fernhielt.

Mein Kater Ernesto zeigte sich auch recht angetan von dem Besuch.

Bei dem Gedanken, die Katze am nächsten Tag im Tierheim abzugeben, wurde mir schon ein wenig schwer ums Herz. Aber ich wollte vernünftig sein. Ich hatte mit meinen drei vorhandenen Tieren wirklich genug zu tun. Und so niedlich und zutraulich wie sie war, würde die kleine Linda sicher schnell ein Zuhause finden.

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In der Nacht wurde ich von einem lauten Katzenkampf in der näheren Umgebung wach und hoffte, dass es keine unkastrierten Katzen waren, die dort an weiterem Katzennachwuchs arbeiteten. Mit dem beruhigenden Wissen, dass es der kleinen Linda zumindest erspart bleiben würde, als Streunerin immer wieder alleine Jungtiere durchbringen zu müssen, drehte ich mich um und schlief weiter.

Doch am nächsten Morgen war das weichste Kissen des Wohnzimmers verwaist.
Hatte die kleine Linda sich etwa für ein weniger weiches Nachtlager entschieden?

Doch sie war nirgendwo zu finden und auch auf Zuruf reagierte sie nicht. Das war für die Katze, die ich am Vortag kennengelernt hatte, sehr untypisch.

Aber irgendwo in der Wohnung musste sie sein.
Schließlich hatte ich alle Fenster geschlossen und auch die Schiebetür des Wohnzimmers war zu, als ich morgens ins Zimmer kam. Da konnte sie sich doch unmöglich durch den kleinen Spalt durchgedrückt haben. Und zur Sicherheit hatte ich vor die nicht mehr verschließbare Katzenklappe für meinen Kater im Gästebad noch zwei Schränke geschoben, damit die Katze, sollte sie wider Erwarten aus dem Wohnzimmer ausbrechen, nicht auf diesem Weg entwischen konnte.

Aber die kleine Linda war definitiv nicht mehr in der Wohnung.
Sie musste sich durch den schmalen Schlitz der Glasschiebetür im Wohnzimmer ge- quetscht und dann hinter die vor die Katzenklappe platzierten Schränke geschoben haben.

Jetzt fiel mir auch der nächtliche Katzenlärm wieder ein.

War die kleine Linda vielleicht gar nicht extrem verschmust, sondern einfach nur rollig und hatte mir darum immer wieder vertrauensvoll den Bauch entgegengestreckt? Wie hatte ich nur so dermaßen blind sein können?

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Wieso hatte ich mich nicht dazu durchringen können, sie von ihrem weichen Schlafplatz zu nehmen und sie in der Nacht etwas weniger gemütlich aber dafür hinter einer weiteren und obendrein abschließbaren Tür unterzubringen? Wie hatte ich so gedankenlos sein können?

So klein und schmal wie sie war, erschien es mir auf einmal gar nicht mehr so unmöglich, dass sie sich durch sämtliche Ritzen gequetscht hatte. Warum verdammt, war mir dieser Gedanke nicht schon am Abend davor gekommen?

Jetzt würde das Tier sich nicht nur alleine durchschlagen, sondern obendrein auch noch Jungtiere durchbringen müssen. Ich machte mir große Vorwürfe und verspürte den dringenden Wunsch, meinem selbstgefälligen schläfrigen Ich aus der vorhergehenden Nacht in den Allerwertesten zu treten – von wegen der kleinen Linda würde es erspart bleiben, als Streunerin Würfe aufzuziehen.

Ich hatte es vermasselt.
Ich war so von Selbstvorwürfen erfüllt, dass ich sogar meinte, ich würde die kleine Linda ohne Unterlass miauen hören. Zur Vorsicht suchte ich die Wohnung noch einmal gründlich ab. Doch die Katze war weg. Das Miauen blieb.

Als ich mich mit den Hunden zum Gassigang aufmachte, hatte ich noch immer das Miauen der kleinen Linda im Ohr und gab mich dem fatalistischen Gedanken hin, als Strafe für meine Gedankenlosigkeit nun auf ewig mit einem Katzenmiauen im Ohr leben zu müssen. Dieses Los erschien mir zwar irgendwie angemessen aber auch ziemlich hart. Denn das Miauen im Ohr wurde immer lauter.

An der Haustür angekommen löste sich glücklicherweise nicht nur die Angst vor einem Leben mit ewigem Miauen im Ohr, sondern auch die Sorge um die kleine Linda in Wohlgefallen auf. Denn da saß sie und forderte lautstark Einlass. Sie hatte trotz ihrer Rolligkeit offenbar nicht vergessen, dass es ihr bei mir ganz gut gefallen hatte.

Nach ausgiebigem Köpfchengeben marschierte sie ins Haus, als hätte sie hier schon immer gewohnt und visierte zielstrebig wieder das weichste Kissen des Wohnzimmers an.

Aber dieses Mal ging ich auf Nummer sicher.
Ich setzte sie kurzerhand in einen Transportkorb und schloss sie trotz lauten Protests im Bad ein.

Ich rief direkt beim Tierarzt an und bekam nicht nur einen Kastrationstermin für den nächsten Morgen, sondern auch die Zusage, dass die kleine Linda bis zum OP-Termin dort vor Ort ausbruchsicher untergebracht werden konnte. Ich wollte kein Risiko mehr eingehen und es stand meiner Meinung nach zu befürchten, dass sie in der nächsten Nacht neue Ausbruchswege finden würde, die ich nicht bedacht hatte.

Wenn sie unbedingt wieder in die Freiheit ausbrechen und dort leben wollte, dann sollte es von mir aus so sein – aber das nur kastriert.

An irgendeinem Punkt während der Suche nach der verschollenen Katze und dem Moment, in dem ich sie vor meiner Haustür wiederfand, ist es passiert. Sie war entgegen aller Vernunft irgendwie zu meiner Katze geworden.

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Ich fühlte mich für sie zuständig und wollte mich persönlich darum kümmern, dass sie ein gutes Leben hat. Dass sie eigentlich an diesem Nachmittag einen Termin zur Abgabe beim Tierheim hatte, hatte ich völlig ausgeblendet. Dort war man aber auch nicht traurig drüber, dass zumindest diese Katze direkt in ein neues Zuhause zog und gar nicht erst bei ihnen im Tierheim landete.

Die kleine Linda lebt jetzt seit ihrer Kastration vor vier Jahren bei mir und meiner Menagerie und ist auch ohne rollig zu sein, noch immer eine begeisterte Schmuserin. Ausgebrochen ist sie seitdem nie wieder und ich habe es nicht eine Sekunde lang bereut, sie aufgenommen zu haben.

Sie ist ein kleiner Sonnenschein und füllt ihren Job als ungeplante Katze, für deren Platz maximal und unter Vorbehalt ein Hund angedacht gewesen wäre, mit Hingabe aus. Manchmal habe ich fast den Eindruck, sie bemüht sich irgendwie, dieser dritte Hund zu sein, an den ich vor ihrem Einzug ab und an gedacht habe.

Sie begleitet die Hunde und mich eifrig auf unseren Spaziergängen und hört besser auf Zuruf als so mancher Hund.

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Wenn die Hunde am Gartenzaun den Feind verbellen, rennt sie ganz wichtig und mit auf- geplustertem Fell mit.

Und jetzt wo meine Hunde so richtig alt sind und keine große Lust mehr auf Spaziergänge haben, ist die kleine Linda manchmal der einzige Vierbeiner dieses Haushalts, der mit Begeisterung zur Tür gerannt kommt, wenn ich zum Gassigang rufe.

Mittlerweile ziehen die kleine Linda und ich immer öfter nur zu zweit zu größeren Streif- zügen los – irgendwie ist sie also letztendlich doch fast so was wie ein dritter Hund geworden.
 

08.12.2020

10.12.2020


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