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Topi

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Topi, auch bekannt als die blonde Katastrophe, habe ich Anfang 2015 kennen gelernt, als er zu uns ins Tierheim kam.

Er war 2014 in Ungarn von einer Tierschutzorganisation als etwa Zweijähriger aus Ketten- haltung befreit worden und musste zuallererst ein eingewachsenes Stachelhalsband operativ entfernt bekommen.

Danach wurde der süße, blonde Labradormix vermittelt, kam aber ziemlich schnell wieder retour, da seine Familie, verständlicherweise, mit ihm überfordert war, denn er hatte massiven Stress, brüllte, stand kreischend in der Leine, wollte alles zerlegen, was sich ihm von vorn näherte, und zeigte deutliche Tendenzen, andere Hunde vom Antlitz der Erde tilgen zu wollen, was natürlich ein Ergebnis seines Lebens als Kettenhund war.

Die Tierschutzorganisation, mit der wir seit Jahren eng und vertrauensvoll zusammen- arbeiten, nahm die blonde Katastrophe zurück, nur wohin mit einem wie ihm?

Auf eine normale Pflegestelle konnte er natürlich nicht, das geht nicht mit einem, der Hunde shreddern und Radfahrer, Spaziergänger, Autos und Jogger fressen will. Also kam er zu uns.

Zunächst einmal durfte er einige Monate im Quarantänezwinger wohnen, um herunter- zufahren, denn er war komplett reizüberflutet.

Ich ging von Anfang an zweimal pro Woche mit ihm Gassi, lange Zeit immer nur dieselbe Strecke bei uns im einsamen Wald, alles Andere hätte ihn überfordert.

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Im ersten Jahr stand er kreischend in der Leine, sobald am Horizont etwas auftauchte, das nur entfernt an einen Hund erinnerte, und beruhigte sich erst lange, nachdem der verdächtige Schemen außer Sichtweite war.

Rückgerichtete Aggressionen waren auch ein Thema, allerdings eher so nebenbei. Wenn er komplett in Rage war und ausflippte, hackte er rund um sich zu, in die Luft, den Acker, die Wiese, meine Hose, die nächste Pfütze...

Lange Zeit war ich die komische Irre im Wald, die den ausflippenden blonden Hund am Kurzführer festhielt und nett lächelte oder ihm ein Liedchen vorsang – Ich habe gelernt, wer singt, kann sich nicht aufregen. Außer vielleicht man brüllt Death Metal oder Ähnliches.

Ansprechbar?

Fehlanzeige.

Nach etwa einem Jahr stellte ich fest, dass das blonde Hirn während der Aussetzer beim Anblick von Hunden tatsächlich endlich nicht mehr komplett außer Betrieb war.

Topi stand tobend und um sich hackend in der Leine, weil auf der anderen Straßenseite auf einem Hof zwei Hunde motzten, und irgendwann hatte er mal wieder mein Hosenbein zwischen den Zähnen. Da drehten und ratterten die Rädchen in seinem Schädel, ihm war anzusehen, dass die Information „Wir beißen nicht in Beine rein“ an seinem Hirn angekommen war, er spuckte unauffällig meine Jeans wieder aus und pöbelte in Richtung der Hunde weiter.

Das war der Moment, in dem ich anfing, nicht nur auf größte Distanz, sondern auch im Reiz selbst zu trainieren. Umorientierung, Alternativverhalten, Abbruch, ihr kennt das alle, und nun lernte auch Topi es kennen.

Nebenher lief natürlich auch noch so was wie Grundgehorsam, adäquater Umgang mit Menschen (Die werden nicht gefressen, nur weil sie frontal entgegenkommen, oder einfach mal begeistert mit allen Vieren angesprungen und zu Boden geknutscht, wenn sie sich anders als frontal nähern), Tierarztbesuche (mit Maulkorb, doppelt gesichert und immer nur in meiner Begleitung, außer mir konnte ihn dann keiner händeln).

Irgendwann folgte dann auch das Training im Umgang mit anderen Hunden.
Ich hatte nämlich festgestellt, dass Herr Katastrophe im Grunde nicht unverträglich war, sondern „nur“ die Hundesprache nicht sprach. Klar, wer hätte ihm die an der Kette auch beibringen sollen?

Und als ordentlicher Kettenhund, der nicht weg kann, wenn jemand ihm ans Leder will, und auch nicht versteht, OB das Gegenüber ihm überhaupt das Licht ausknipsen oder womöglich nur freundlich grüßen möchte, führte sein Weg natürlich immer massiv nach vorn.

Also war das nächste Ziel, dem Kerlchen die Hundesprache näher zu bringen.
Dabei half mir mein eigener Hund, der endlos geduldige, souveräne Hovawartmix Spooky, der mir im Training mit den Tierheimhunden seit vielen Jahren zur Seite steht.

Zunächst gab es viele gemeinsame Leinenspaziergänge mit riesigem Abstand, der sich langsam, aber stetig verkleinerte. Ein besonders wunderbarer Moment war der, als Topi auf einmal mit meinem Hund spielte. Nur kurz, natürlich angeleint, weil es auf einem Spaziergang passierte, aber seitdem waren die Beiden ein Herz und eine Seele.

Mein Großer weiß, wie er die Katastrophe zu nehmen hat, kommuniziert absichtlich über- trieben deutlich und in großen Gesten, damit er verstanden wird, und hat Topi so geholfen, die Hundesprache zu erlernen. Topi hatte seinen ersten Freund gewonnen.

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Nun war es Zeit, die neu erworbenen Fähigkeiten an anderen ausgewählten Hunden zu erproben.
 
In der kommenden Zeit wurden meine Freunde mit vernünftigen, entspannten oder einfach extrem gut erzogenen Hunden für Trainingsspaziergänge mobilisiert, und auch wenn es bei den meisten Hunden wesentlich länger dauerte als bei meinem Großen, ließ sich doch mit fast allen ein gemeinsames Leinengassi ohne Eskalation realisieren.

Und dann kam DER PLAN!

Es fing damit an, dass meine beste Freundin und ich online auf Camp Canis aufmerksam wurden, ein Canicross-Event mit viel Matsch, Wasser, Blödsinn und Spaß.

Beide hatten wir spontan Lust darauf, aber mein eigener Hund ist eher der Typ „Wasser ist Lava“; der würde so etwas klaglos mitmachen, weil ich das so will, aber Spaß hätte er nicht.
Also schade, Camp Canis ohne uns.

Da kam zum ersten Mal der nicht wirklich ernst gemeinte  Gedanke auf, man könne doch mit Topi dorthin fahren, denn Topi liebt nichts mehr als Wasser und Matsch. Leider muss man da im Team antreten und Team bedeutet andere Hunde im eigenen Dunstkreis.
Also wieder schade, Camp Canis ohne uns.

Es sei denn... wir stricken Topi sein eigenes Team.

Die Idee nahm Form an.
Meine Freundin stimmte zu, ihren Sheltiemix zu opfern; es fehlte aber noch ein drittes Teammitglied.

Kurz zuvor hatte ich eine Frau mit zwei Chihuahuas kennen gelernt und die wurde nun spontan gefragt, ob sie einen der Zwerge und sich selbst zur Verfügung stellt. Sie war einverstanden und so entstand das einjährige Projekt „Topi goes Camp Canis“.

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Jeden Samstag trafen wir uns nun im Tierheim. Topi lernte, unterstützt von meinem Hund, sein Team kennen, erst den Chihuahua Dexter, dann den Sheltiemix Filou. Es gab viele Fortschritte und ebenso viele Rückschläge in Form von mittleren Ausrastern, aber am Schluss konnte Topi in der Nähe seiner Teamhunde entspannt mitlaufen.

„Wir warten auf unser Team“ ist ein Schlagwort, bei dem er noch heute sofort die Ohren spitzt und sich freudig umschaut.

Danach stand Autotraining auf dem Plan, Ruhe in der Kofferraumbox, auch wenn auf dem Rücksitz noch ein Hund mitfährt, laufen in fremder Umgebung, querfeldein, am Bauchgurt, wir übten, den Chip von Fremden auslesen zu lassen, und dachten uns eine Lösung für ein ausbruchssicheres Zuggeschirr aus.

Am 15.09.2019 war es dann endlich so weit.
Sehr früh aufstehen, frühstücken, Nüsse, Müsliriegel, Butterbrote und Schokolade ins Auto laden, auf zum Tierheim zum Hundetausch. Mein Großer wurde abgeliefert, Topi einge- packt, Freundin mit Filou abgeholt, die andere Freundin würde separat fahren.

Die erste Zitterpartie war der Weg zur Anmeldung, wo die Impfausweise kontrolliert, Chips ausgelesen und das Gangbild begutachtet wurde, viele Hunde auf engem Raum. Eine Menge toller Menschen nahmen Rücksicht auf den bemaulkorbten Blondling, einige wenige leider nicht, die mussten dann damit leben, dass ihre Hunde mal kurz die Ohren voll- gekreischt bekamen.
So what? E kam ja immer wieder runter und auf dem Trail kann er den Stress ablaufen.

Wir hatten extra um einen späten Startplatz gebeten, denn als unsportliche Würstchen wären wir sonst dauernd überholt worden, was Topi sicherlich zu viel Stress gemacht hätte. Ohne zu wissen, wie das passieren konnte, standen wir irgendwann tatsächlich am Startpunkt, schauten uns an und konnten es nicht glauben, dass wir wirklich hier standen. Aber ja, wir standen, allerdings nicht lange, denn dann ertönten unsere Hymne und der Countdown und wir waren auf der Strecke.

Es mussten viele Hindernisse gemeistert, Denksportaufgaben gelöst, Tümpel, Modder- pfützen und andere feuchtfröhliche Gebiete durchquert werden. Ab und zu begegneten wir auch mal einem anderen Hund auf der Strecke, der da eigentlich gar nicht hingehörte, aber es war super.

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Alles funktionierte, auch wenn Topi zwei Hindernisse auslassen musste, weil er dazu nicht mehr die Konzentration hatte. Aber die Wasseraufgaben waren ausnahmslos seine; er schaffte sie alle und hatte Spaß dabei.

Und am Ende der Strecke kam das, worauf wir uns alle am meisten gefreut hatten:

Die Rutsche.
Eine Plane, die bergab führte und von oben gewässert wurde.

Meine Mädels und ihre kleinen Hunde machten es vor: Hund auf den Schoß, gut festhalten und abwärts, und dann kamen Topi und ich.

Unten stand meine Freundin, die ihren Hund schon weitergereicht hatte, um uns zu empfangen, ich klemmte mir die gar nicht mehr katastrophale Katastrophe in die Arme, Hintern auf die Plane, Augen auf und tschackaaaa!

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Wir kamen heil unten an, Topi hasste mich nicht, die letzten Meter waren auch schnell geschafft und dann liefen wir, dreckig, nass, fassungslos, aber glücklich gemeinsam ins Ziel, als vorletztes Team.

Nicht Arm in Arm und ein Siegerfoto von sich umarmenden Menschen und fröhlich um sie herumhüpfenden Hunden gab es auch nicht, aber wir hatten es geschafft.

Topi hatte es geschafft, der unverträgliche, aggressive, bissige Kettenhund hatte mit uns den Trail ge- rockt.

Selten waren wir so stolz auf die Hunde und unsere lange Arbeit gewesen wie in diesem Moment.

Ein Hütitüti, ein Chihuahua und ein bissiger Tierheimbewohner waren ein Wahnsinnsteam geworden und hatten es möglich gemacht.

Durch dieses Erlebnis ist Topi noch enger mit seinem Team zusammengewachsen.

Inzwischen ist sogar noch ein weiteres vierbeiniges Mitglied dazugekommen und neulich erst habe ich ziemlich fassungslos zu jemandem gesagt:

„Wahnsinn, der Topi hat Freunde. Plural.“

Topi wartet übrigens noch auf sein Zuhause.
 

07.12.2020

09.12.2020


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

Niemals ein Tier verschenken, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es erwünscht ist!!
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