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Mathilde

oder

"Ihre Königliche Hoheit gibt sich die Ehre!"

Es war Anfang Januar 2014, als mein Mann mir gegenüber am Schreibtisch plötzlich in Verzückungsrufe ausbrach. „Ohhhh, wie süß!“, „Schatz, jetzt schau doch mal“, „Die würde doch suuuuper zu uns passen“!

Häh? Solche Ausbrüche kenne ich sonst nur, wenn es um ein neues Auto, Motorrad oder einen anderen fahrbaren Untersatz geht und genau solcher stand gerade gar nicht zur Diskussion? Was hat er denn dort im Internet bloß gefunden?

„Miss Sophie ist eine ca. 8 - 9 Jahre alte Spitz-Mix Hündin.
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Sie ist ca. 43 cm groß und kam total verwahrlost ins Tierheim“, las ich.

Nun ja, armes Mäuschen. Der Winter in Polen war nun auch nicht gerade ohne... Ach, wenn ich doch allen helfen könnte.

„Ja, arme Maus. Leider können wir nicht allen helfen“, bedauerte ich und widmete mich wieder meiner Arbeit am Schreibtisch.

„Aber ob nun zwei oder drei Hunde ist doch auch egal“, konterte mein Gatte.

Moment!
Das kenne ich im Freundes- und Bekanntenkreis doch wohl ganz anders. Sind es doch sonst eher die Frauen, die um den Zweit- oder Dritthund diskutierten, sah ich mich gerade gezwungen, meinem Mann den Dritthund auszureden.

„Ja, aber schau mal. Sharik und Kenai sind immer noch nicht ganz gesund. Und er- ziehungstechnisch sind wir mit den Rabauken auch noch nicht dort, wo wir sein sollten. Wir sind beide arbeitsmäßig gut ausgelastet und überhaupt. Ein Dritthund zum jetzigen Zeitpunkt wäre völliger Quatsch“, versuchte ich es diplomatisch.

„Ja, aber... das ist doch kein Problem, zu zweit schaffen wir das locker.“

„Was, wenn sie krank ist. Bei Auslandshunden weiß man das nie so genau. Das wäre fatal für Kenny mit seinem verqueren Immunsystem“, versuchte ich an seine Fürsorgepflicht zu appellieren.

„Ja, aber….. das lässt sich klären“

Von diesen „Ja, aber...“ folgten in den nächsten Tagen noch so einige, die ich entweder konterte oder aber schlichtweg ignorierte.

Bis zu dem Tag, an dem er Kontakt mit der Organisation aufnahm, die sich um die Hunde in dem kleinen Tierheim in Polen kümmerten.

„Sie ist eine ganz süße, kleine Madame und hat schon einen Einzelzwinger, weil sie immer um die Hütte kreist. Und anfassen lassen will sie sich auch nicht mehr von den Pflegern. Und überhaupt und sowieso...“

Verflixt, nun wurde es ernst. Wenn er schon so weit geht, dann gibt er nicht mehr so schnell auf. Wie komme ich bloß aus der Nummer raus? Ein Dritthund war mir nun wirklich gerade zu viel.

Während ich noch grübelte, wie ich ihm seine polnische Prinzessin wieder ausreden könnte, kam der ultimative Satz:

„Den Winter überlebt die alte Dame dann wohl nicht!“

Ok, gewonnen!

Was soll frau darauf entgegnen? Sie war nicht mehr nur der arme Hund in Polen. Nein, sie hatte einen Namen, eine Geschichte. Sollte ich Schuld an ihrem Tod sein?

Apropos Namen: Miss Sophie! Das ging ja mal gar nicht. Also wenn schon, dann Mathilde. Sah sie nicht aus wie eine alte Dame mit Stock und Hut?

Na schön, eine kleine, genügsame nette Maus bringen wir schon noch unter. Gegen eine nette Dame hatten auch die Jungs wenig einzuwenden und wenn sie aus Polen kommt, wird sie schon anspruchslos sein. Also soll es halt so sein. Ich gab nach.

Viel zu schnell kam der letzte Tag, den die Jungs und ich in trauter Dreisamkeit verbrachten. Herrchen war auf dem langen Weg nach Oranienburg, wo er das arme verwahrloste Wesen abholen sollte.

Das bekannte Piepsen meines Handys kündigte eine SMS an. „Oh, ob er Mathilde wohl schon im Auto hat?“, dachte ich.

Es öffnete sich ein Foto, von einem kleinen Schäferhund – Mix ohne Fell. „Ja, prima… netter Hund. Warum schickt er mir das? Ich würde ja gerne Mathilde sehen? Männer...“ Ich wollte gerade das Foto wegklicken, als mir aufging, dass dieser merkwürdige Hund ja in unserem Kofferraum saß. Ein Anruf bestätigte meinen Verdacht, es war tatsächlich Mathilde. Man hatte es gut gemeint in Polen und sie geschoren….. leider teilweise mit Haut.

So kam sie dann an, dass alte kleine polnische Klappergestell.

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Der Kofferraum ging auf und Königin Mathilde betrat ihr Reich!

Ängstlich gegenüber Menschen? Äh... nein. Im Gegenteil, ihre Untertanen haben sich gefälligst um sie zu kümmern.

Spitz – Mischling? Vielleicht gab es vor x – Generationen mal einen in der Verwandtschaft. Dominieren tut jedoch der Hütehund. Diese Gene lebt sie auch voll aus.

Verträglich mit Artgenossen? Mitnichten! Auf ein vernünftiges Maulkorbtraining mussten wir leider verzichten, die Jungs fanden ihre Zähne, auch wenn nur noch wenige vorhanden waren, nicht witzig.

Genügsam? Natürlich… solange sie alles bekommt, was sie will. Und das ist viel.

Leider stand sehr schnell ein Tierarztbesuch an, der dann die traurige Wahrheit über den Gesundheits- zustand ans Licht brachte.

Das geschätzte Alter wurde revidiert und auf +- 12 Jahre korrigiert.
Die Zähne, wenn man bei den Stumpen von Zähnen sprechen mag, sind alles andere als schön. Die Kastrationsnaht war schlimm entzündet und die Mammatumore in der Vielzahl fast nicht zählbar. Leider mochte auf Grund einer beidseitigen Lungenverhärtung und ihres Allgemeinzustandes niemand auch nur im Entferntesten an eine Operation denken.

„Ist doch toll, wenn sie noch ein paar schöne Monate bei Ihnen hat“, vernichtete unsere Tierärztin all unsere Hoffnungen.

So standen wir etwas bedröppelt da. Statt der netten, gesunden und genügsamen Hündin hatten wir eine alte, klapprige, haarlose Oma, die dazu schwerkrank war und die beiden Rüden zum Fressen gern hatte.

Toll!

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich im Zustand der Überforderung mit endlosen Vorhaltungen an meinen Mann nicht geizte.

Nun war guter Rat teuer, im wahrsten Sinne des Wortes. Zunächst wurde die Misses, wie sie trotz des neuen Namens immer noch genannt wird, aufgepäppelt und tierärztlich versorgt. Das Fell wuchs und die Wunden verheilten.

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Leider benahm sie sich den beiden Rüden gegenüber noch immer wie eine Furie. Zusätzlich reagierte sie weder auf akustische, noch auf visuelle Reize. War sie etwa zudem noch blind und taub?

Wie geht man mit einem solchen Hund um? Wie bringe ich ihr die grundlegenden Befehle bei?

Es gab nur einen Weg, ab in die Hundeschule.

„Was?? Mit so einem alten Tier in die Schule?“

„Warum holt ihr euch auch immer so Pflegefälle aus dem Tierheim?“

„Na, der nächste Hund kommt dann jawohl mal vom Züchter!“

„Holt euch doch endlich mal nen Welpen, da habt ihr doch mehr von“.

„Was soll die denn wohl noch lernen, das ist doch rausgeworfenes Geld.“

„Von dem Geld kannst Du Dir doch aus mal was vom Züchter holen.“

Diese und ähnliche Sprüche hörte ich in den nächsten Monaten oft. Am Anfang versuchte ich noch zu erklären und an die Menschlichkeit zu appellieren. Ich versuchte, die Leute aufzuklären und für das Leid, gerade der älteren Tierheim – Hunde, zu sensibilisieren.

Irgendwann reagierte ich allerdings auch sauer und wenig verständnisvoll. Sahen die Leute denn nicht, wie toll sich Mathildchen entwickelte?

Das Zusammenleben gestaltete sich immer harmonischer. Die Jungs ließen Mathilde in dem Glauben, sie sei die Herrscherin des Reiches und Mathilde lernte, dass ungebührliches Benehmen bei Frauchen nicht gut ankommt. Mit der Besserung des Allgemeinzustandes kam auch das Hör- und Sehvermögen zurück. Natürlich mit kleinen Defiziten, aber was sie hören will, dass hört sie auch. J

In der Hundeschule entwickelte sich die Misses als absolute Streberin. Sitz, Platz, Bleib und Fuß waren schnell klar. Sie durfte nach kürzester Zeit offline laufen, denn der Rückruf saß bombenfest.

Sie war unheimlich motiviert und lernte schnell und freudig.

So war es eigentlich nur logisch, dass wir zwei an einem Vorbereitungskurs zur Begleithundeprüfung teilnahmen.

Die olle Motte gegen die Jungspunde! Egal, durchkommen ist alles.

Am Tag der Prüfung regnete es. Ach was... Es goss wie aus Eimern!
Das sollte ja spannend werden.


Was soll ich sagen... Ihre königliche Hoheit war zwar nicht begeistert, absolvierte aber professionell und abgeklärt jede Aufgabe. Sie ließ sich sogar, gnädig gegenüber ihrem Frauchen, in einer Pfütze ablegen.

Mein altes Mädchen bestand die Prüfung mit Links und ließ als Tagessiegerin keinen Zweifel an ihrer Überlegenheit gegenüber dem jungen Gemüse. Schließlich stand nur ihr der große Pokal zu.

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Umso schöner, dass wir Herrchen den Sieg an diesem Tag zum Geburtstag schenken konnten.

Und natürlich hat sie, als gestandener Hütehund – Mix, auch einen Job!

1 – 2 mal die Woche betreut sie meine 84jährige, rüstige Schwiegermutter nebst meiner 88jährigen, ebenso rüstigen Schwiegertante. Sie sorgt dafür, dass beide an die frische Lust kommen, mit den Nachbarn plaudern, die Beweglichkeit der Hände durch Kraulen gestärkt wird und die Denkleistung erhalten bleibt. Schliesslich müssen beide ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen können.

Diesen Job erledigt sie natürlich ebenso eifrig, wie alles in ihrem Leben. Böse Zungen behaupten allerdings, der Rest der Familie wäre heilfroh, sie ab und zu auch mal los zu sein.

Merke, ja, auch alte Hunde wollen und können noch etwas lernen! Aber wieviel mehr können wir von ihnen lernen? Mathilde hat mir in den letzten 1,5 Jahren mehr beigebracht, als ich es vorher für möglich gehalten hätte.

Und natürlich bin ich heute meinem Mann sehr dankbar, denn ohne ihn hätte ich dieses zauberhafte Wesen, diese olle, laute, griesgrämelige Oma, nie kennengelernt.

Klar hat sie gesundheitliche Einschränkungen und die Tumore sind nach wie vor da.

Aber niemand, der Mathilde am Tage ihrer Ankunft gesehen hat, hätte auch nur einen Pfennig darauf gesetzt, dass die Misses auch am heutigen Tage noch bei uns ist.

Aber das ist halt typisch Mathilde, immer für ihre Untergebenen da zu sein. Hoffentlich noch lange...

Oftmals werden alte Hunde als dankbar und genügsam, als weise und abgeklärt beschrieben. Das mag auch oft sein. Hier ist es allerdings anders. Sie ist laut, fordernd und rechthaberisch. Sie weiß ihre Zähne einzusetzen und ihren Willen durchzusetzen.

Aber es ist “the one and only Mathilde” und dafür lieben wir sie.

Wir wünschen allen Zwei- und Vierbeinern eine besinnliche Adventszeit und Frohe Weihnachten.

Allen einsamen Hunden sei gesagt, haltet durch und gebt die Hoffnung nicht auf. Vielleicht sieht euch bald ein lieber Mensch und schafft es sich gegen die Bedenken seiner Frau durchzusetzen. Dann werdet auch ihr bald euer eignes Königreich haben.
 

21.12.2015

23.12.2015


weihnachtstiere

Oder einen Gutschein über einen Tierheimbesuch im neuen Jahr!

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