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Simon

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Nach dem Tod meiner Hündin Nelly stand für mich fest, dass ihr Platz nicht lange verwaist bleiben sollte. Denn ich hatte die Befürchtung, dass Tiffy, meine andere Hündin, sich zu sehr an ihre Rolle als Prinzessin des Hauses gewöhnen und beim Einzug eines Neuzugangs dann verstärkt rumzicken könnte.

Ich fand im Tierheim sogar ein alte Hündin, die ich gerne übernommen hätte, aber sie war glücklicherweise nur kurzfristig dort untergebracht und konnte wieder nach Hause.
Also durchforstete ich das Internet nach Notfällen im gehobenen Hundealter.

Doch nach welchen Kriterien sollte ich auswählen?
Welcher Hund benötigte am dringendsten ein Zuhause?

Und war es wirklich richtig, Hunde im Alter zwischen 10 und 13 kategorisch auszuschließen, weil sie in meinen Augen noch relativ jung waren und bestimmt noch eher ein Zuhause finden würden als die noch älteren?
Und waren 40 cm wirklich schon zu groß, um den dazugehörigen Hund im Zweifelsfall die Treppen in den ersten Stock rauf- und runterzutragen?

Ich war durch die Fülle der Senioren-Notfälle völlig überfordert und beschloss, meine Suche für ein paar Tage ruhen zu lassen.

Genau während dieser selbst verordneten Ruhephase stolperte ich in einem Internetforum über eine Suchanzeige von jemandem, der ebenfalls einen uralten Hund suchte. Ich durchstöberte die Antworten mit Vorschlägen für Hundesenioren und fand all die alten Bekannten wieder – und wieder konnte ich keine Entscheidung treffen.

Doch der Gott der Seniorenhundefreunde schien ein Einsehen mit mir zu haben. Noch am selben Tag erhielt ich eine E-Mail, in der mir ein vierbeiniger Notfall ans Herz gelegt wurde.

Das Kerlchen hatte ich schon mehrfach angeschaut, aber er war bislang immer durch mein Suchraster gefallen. Mit schätzungsweise 12 Jahren und 46 cm hatte ich ihn immer wieder für zu jung und zu groß befunden. In der E-Mail erfuhr ich nun, dass sein Pflegestelle der Verzweiflung nahe war, da sie diesem Hund, dem sie so sehr einen ruhigen Platz wünschte, einfach nicht das bieten konnte, was er dringend zu brauchen schien – nämlich Ruhe und geregelte Strukturen.

Nach diesem kleinen Stupser las ich mir die Anzeige für diesen Hund also noch einmal genauer durch. Er war also nicht nur taub und blind, sondern auch noch krank und litt an Diabetes insipidus. Das sprach ja eigentlich dafür, ihn aufzunehmen.

Und wie ich beim erneuten Durchlesen des Textes seiner Anzeige noch so bei mir denke, „46 cm ist zum Treppen Rauf- und Runtertragen aber ganz schön groß, und diese Pillen für dieses „Diabetesdings“ sind ja auch ganz schön teuer“ (das hatte ich schon nebenbei per Google rausgefunden), hatte ich auch schon die angegebene Telefonnummer der Pflegestelle gewählt und hörte mich sagen, dass ich Simon gerne übernehmen würde.

Wir telefonierten lange und tauschten mehrere E-Mails aus.
Bei einem unserer Telefonate erklärte mir sein Pflegefrauchen, dass Simon bellt, wenn er unsicher ist und ich damit rechnen sollte, dass er anfangs relativ viel bellt.
Oh nein, nicht das. Mein verstorbener Rex hatte sich mit seiner Kommunikationsfreudigkeit unter den Anwohnern hier im Ort wahrlich nicht nur Freunde gemacht und eigentlich war Bellfreudigkeit für mich fast so was wie ein Ausschlusskriterium.

Aber jetzt hatte ich ja eigentlich schon zugesagt und konnte und wollte von dieser Zusage auch nicht mehr zurücktreten. Simon war mir durch die Mails und Telefonate schon richtig ans Herz gewachsen.

Wir würden das schon irgendwie hinkriegen – und es wäre wegen eines gehobenen Alters ja auch nicht für die Ewigkeit. Vielleicht würde das alles ja auch nur halb so schlimm.

Aufgrund seiner Behinderung war er mit dem normalen Alltag in seiner Pflegestelle, auf der mehrere Hunde lebten (und in die er, blind wie er war, immer mal wieder reinstolperte), einfach überfordert.

Dass er nicht der Allerhellste ist, machte es ihm vermutlich nicht unbedingt leichter, sich dort zurechtzufinden – ob seine leichte chronische Verwirrtheit nun am Alter liegt oder ob er ggf. eine leichte geistige Behinderung hat oder ob er einfach durch seine Blind- und Taubheit so stark eingeschränkt ist, keiner weiß es so ganz genau (obwohl er gründlichst durchgecheckt wurde).

Simon ist eben ein ganz besonderer Hund und braucht Ruhe und feste Strukturen, um mit seinem Leben klarzukommen. Er lebt quasi in seiner eigenen kleinen Welt, eher noch in seinem eigenen kleinen Universum – seinem Simon-Universum.

Mein Entschluss stand fest. Simon sollte hier einziehen.

Meine Hündin Tiffy ist dank meiner verstorbenen Nelly eine alte Häsin auf dem Gebiet des Zusammenlebens mit blinden, tauben und ab und an leicht desorientierten Hunden. Ich arbeite von zu Hause aus und hier würde das Kerlchen zur Ruhe kommen können.
Er sollte hier seine Chance auf ein Simon-gerechtes Leben bekommen.

Und so zog er dann einige Zeit später hier ein.

Sein Pflegefrauchen brachte ihn persönlich in sein neues Zuhause, und er bekam seinen Hundekorb mit, damit er wenigstens etwas für ihn Bekanntes in der für ihn fremden Umgebung um sich haben würde. Meine bereits vorhandene Hündin fand ihn nicht weiter interessant. Wieder so einer, der viel im Kreis rumtippelt und es nicht auf ihre Couch abgesehen hatte.

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Das Zusammenleben verläuft recht unspektakulär. Wobei Simon immer leicht mit der Rute wedelt, wenn er auf seinen Wohnungs-Inspektionsrunden, die er täglich zweimal dreht, zufällig mal auf Tiffy trifft. Für ihn ist das schon ein regelrechter Gefühlsausbruch.

Die ersten Tage waren für ihn bestimmt nicht leicht. Seine ganze Routine war auf den Kopf gestellt, alles war neu und er hatte keine Rituale, an denen er sich festhalten konnte – und die ihm so viel Sicherheit geben.

Ständig quetschte sich ein ihm fremder Kater mit zu ihm in seinen Korb und alles war so anstrengend, dass er fast durchgängig schlief.

Er schläft auch heute noch ungefähr 22 von 24 Stunden und das teilweise so tief und fest, dass ich öfter mal genau nachschaue, ob er überhaupt noch atmet. Aber in den ersten Tagen schien er auch in den Wachphasen eher schlafzuwandeln.

Anfangs vertraute er mir verständlicherweise auch noch nicht so recht und die Spaziergänge haben ihn fürchterlich aufgeregt, so sehr, dass er sich immer wieder im Kreis um sich selbst drehte oder vor lauter Aufregung Durchfall bekam – oder eben beides.

Oft hat er sich auch strikt geweigert, ein Ründchen zu drehen. Was für einen Hund von Simons stoischem Charakter eine Leichtigkeit ist. Er geht dann eben einfach nicht weiter. Ihm ist das egal, ob Frauchen sich vor seinen Augen zum Affen macht, um ihn zu locken, zu geleiten oder sonstwie in die von ihr gewünschte Richtung zu bewegen – er muss das Trauerspiel ja nicht anschauen...

Mittlerweile vertraut er mir und läuft anstandslos auch große Spaziergänge zügig mit.
Ich vermute zwar, dass er eigentlich lieber schlafen oder einfach nur abhängen würde, aber zumindest der morgendliche Spaziergang ist für ihn zum Bestandteil seiner täglichen Routine geworden. Und auf deren Einhaltung legt er großen Wert, ebenso großen Wert wie auf seinen geliebten Pansen, den es nach dem Spaziergang immer gibt – und den vergisst Simon nie.

Ich hätte ihm eigentlich nicht zugetraut, dass er so nachhaltig Informationen speichern kann – aber doch ja, mein Simon weiß genau, wann es an der Zeit für eine kleine Knabberei ist. Da habe ich ihn gewaltig unterschätzt.
Wenn ich es anfangs mal wagte, den Pansen zu vergessen, übte er auf seine Art stummen Protest und tippelte ohne Unterlass Runde um Runde durch die Wohnung. Mittlerweile arbeitet er sich stattdessen recht flott in die Küche vor und baut sich dort geschickt vor mir auf, um in der ihm eigenen Weise Forderungen zu stellen – stoisch im Weg stehend. Diese Disziplin beherrscht er perfekt.

Seine größte Schwäche ist Fleischwurst. Für die vergisst er sogar manchmal, dass er eigentlich nur morgens in Flanierlaune ist und dreht auch noch mal mittags, nachmittags oder abends eine zusätzliche Runde mit Tiffy und mir, anstatt nach Erledigung dringlicher hundlicher Geschäfte vom Garten aus in einer für einen blinden und tauben Hund atemberaubenden Geschwindigkeit und Sicherheit gen Haustür zu eilen und zu versuchen, sich wieder Einlass zu verschaffen.

Wenn die Tür nur angelehnt ist, schiebt er sich die selbstständig auf und läuft wie an der Schnur gezogen alleine die Treppe rauf.

Auch da habe ich ihn gewaltig unterschätzt, anfangs habe ich ihn immer getragen oder im Höchstfall am Geschirr gestützt die Treppe laufen lassen.
So ein Kinderkram, Simon kann sehr wohl alleine Treppen steigen.

Nach nun fast 6 Monaten würde ich sagen, dass Simon gut angekommen ist in seinem neuen Zuhause. Er lebt zwar in seinem eigenen kleinen Simon-Universum, aber die Schnittpunkte mit dem Universum seines Frauchens werden immer mehr und sie werden auch immer öfter von den ihm eigenen Gefühlsausbrüchen in Form eines dezenten Rutewedelns begleitet.

Neuerdings kommt er sogar an den Schreibtisch im Büro und steht dort auffordernd herum. Wenn ich ihm dann den Kopf kraule, folgt das für ihn typische, verhaltene Wedeln, das auch beim morgendlichen Pansenmahl nicht stärker ausfällt.

Ich war anfangs immer fast zu Tränen gerührt, wenn er sich über Streicheleinheiten von mir ebenso zu freuen schien wie über seinen heiligen Pansen – für den er, wenn es ihm denn nicht an jeglichem Agressionspotenzial mangeln würde, sicherlich morden würde. Mittlerweile ist seine Schreibtisch-Belagerung ab und an sogar richtig lästig und ich habe mich ihn schon einen elenden Wegelagerer schimpfen hören.
Aber was soll’s, Simon hört es ja nicht...

Er hat sich mittlerweile auch ein paar Unarten angeeignet, wegen denen ich ihm unmöglich böse sein kann.

Er weiß, wie er zum Futternapf meiner Hündin gelangt, um ihr die Reste wegzufressen. und er kann sogar vom Wohnzimmertisch Essen klauen. Und das alles tut er mit einer Selbst- verständlichkeit, wie sie nur mein Simon an den Tag legen kann.

Alles, was essbar ist und lecker riecht, ist in Simons kleinem Universum halt zum Fressen da und weil in diesem Universum außer ihm ja niemand lebt, ist natürlich alles nur für ihn. Für wen sollte es auch sonst sein? Woher soll er denn auch wissen, dass es so etwas gibt wie „das darf Hund nicht“?

Es würde ihn auch überfordern, wenn man ihm solche Feinheiten vermitteln wollen würde. Also lässt man halt nichts herumliegen und füttert den zweiten Hund im Haus in größerer Entfernung zu Simon, so dass dieser durch verräterische Gerüche nicht auf die Idee kommt, dass für ihn ein zweiter Tisch gedeckt wurde.

Ich weiß, dass viele Menschen mich für verrückt halten, weil ich mir so einen alten, kranken und obendrein verwirrten Kauz ins Haus geholt habe – dabei ist er ein so grund- guter Kerl und angenehmer Zeitgenosse, dass es eine Freude ist, ihn um sich zu haben.

Ich weiß auch, dass viele Menschen ihn einfach nur bemitleiden – ich dagegen bewundere ihn oftmals, wenn ich beobachte, wie freundlich und gelassen er seinen Alltag meistert und mit welcher Gelassenheit er z.B. einfach wieder aufsteht und unbeirrt weiter seiner Wege geht, wenn er mal wieder über einen Maulwurfshügel gestolpert ist.

So manch einer fragt auch, ob es nicht besser wäre, ihn zu euthanasieren, so behindert und (mal mehr mal weniger) leicht verwirrt wie er nun mal ist.

Nein, ich glaube nicht, dass es für ihn besser wäre und auch die befragten Tierärzte glauben das nicht. Er hat ja nicht nur sein eigenes kleines bescheidenes Leben, mit dem er übrigens sehr zufrieden zu sein scheint. Nein, er hat ja sogar sein eigenes kleines Universum, in dem er offenbar der King ist.

Es stand mal die Frage im Raum, ob er je glücklich sein könnte, und um ehrlich zu sein, habe ich diese Frage anfangs auch nicht klar beantworten können. Doch jetzt bin ich mir eigentlich sicher.

Er wird nie ein Hund sein, der vor erkennbarer Freude schier außer sich gerät. Aber wenn er z.B. stolz sein Reich markiert (als er das erste Mal am Gartenzaun sein Bein gehoben hat, bin ich vor Stolz fast geplatzt) und dabei wild um sich schaut, als wolle er sagen „alles meins“, dann scheint es mir, als sei das, was er hier hat, ihm wirklich wichtig.

Und wenn er auf diversen Decken gepolstert und eingekuschelt in seinem Korb liegt und sich wohlig brummelnd und leicht wedelnd streckt, wenn man ihn krault, ja dann wirkt er für seine bescheidenen Verhältnisse glücklich.

Sicher, er kann nicht wild durch die Gegend toben, keinen Hundesport machen, keine Riesenspaziergänge o.Ä. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass ihm irgendetwas davon fehlt. Vermutlich kennt er all das auch gar nicht. Er mag klare Strukturen und tägliche Routine. Er ist am besten zufrieden, wenn er weiß, wie der Tag abläuft und wenn er sich drauf verlassen kann, dass es für ihn nicht allzu anstrengend wird und er den Großteil des Tages schlafend in seinem heiß geliebten Hundekorb verbringen kann. Es ist einfach schön, ihn zufrieden und laut schnarchend neben sich liegen zu haben.

Zu der anfangs befürchteten Bellerei ist es übrigens nie gekommen.
Er hat in all den Monaten nur ein- oder zweimal ganz kurz gebellt.

Simon ist ein unglaublich angenehmer Zeitgenosse und einfach ein goldiger Kerl.
Es sei denn, man nötigt ihn, Auto zu fahren. Da verliert er völlig die Fassung, bellt in einer Tour und würde aus dem offenen Fenster springen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Aber nun, wer ist schon perfekt?

Im Simon-Universum gibt es vermutlich keine Autos.

Ich hoffe inständig, dass Simon noch lange in seinem kleinen Paralleluniversum bei mir leben und ab und an auf ein Rutenwedeln in meinem Universum vorbeischauen wird.
 

20.12.2009

22.12.2009


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