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Lolita

Nach dem Tod meines Simon war eigentlich immer klar, dass sein Platz nicht lange verwaist bleiben sollte. Und da er zu seinen Lebzeiten von Herzen gönnen und teilen konnte, denke ich auch nicht, dass er irgendetwas dagegen gehabt hätte, dass relativ kurz nachdem er diese Welt verlassen hat, ein anderer Hund seinen Wohnplatz beziehen sollte.

So kam es, dass ich zwei Wochen nach seinem Tod bei einer Radtour beschloss, einfach mal im nächsten Tierheim Halt zu machen.

Die meisten kennen das ja sicher. Wenn man mit der Absicht, ein Tier aufzunehmen, ein Tierheim betritt, dann würde man sie ja am liebsten alle mitnehmen. Jedes Tier dort hätte ein Zuhause verdient und vermutlich würde auch jeder Insasse gerne in ein Zuhause wechseln. Aber irgendwie gibt es auch immer einen oder zwei, die einen ganz besonders ansprechen.

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In meinem Fall war es eine kleine wuschelige Hündin, die mir direkt ins Auge fiel. Laut Beschreibung war es eine 6-jährige Tibet Terrier Hündin und kam für mich somit nicht in Frage.
Eine noch relativ junge und augenscheinlich reinrassige Hündin ohne erkennbare Handicaps würde sicher schnell ein neues Zuhause finden. Ich wollte eigentlich einen Hund, bei dem die Vermittlungschancen schlechter standen.

Die anderen Hunde kamen wegen ihrer Katzen- unverträglichkeit, ihrem jungen Alter oder ihrem Geschlecht (der hier ebenfalls im Haus lebende und sich mit meinen Hunden den Garten teilende Rüde hat es nicht so mit anderen Rüden) nicht in die engere Auswahl oder waren einfach zu groß, um von mir im Notfall in meine Wohnung getragen werden zu können.

Also durchforstete ich das Internet nach einem geeigneten Kandidaten. Aber irgendwie war der Wurm drin. Immer gerade genau der Hund, bei dem ich zuschlagen wollte, war kurz vorher vermittelt worden. Also machte ich bei einer weiteren Radtour zwei Wochen später noch einmal einen Schlenker zum Tierheim. Vielleicht würde ja jetzt dort genau der Hund sitzen, den ich suchte und der mich dringend brauchte.

Als ich das Tierheim betrat, traute ich meinen Augen kaum, da saß doch tatsächlich diese kleine Wuschelhündin immer noch in ihrem Zwinger. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Aber wo ich jetzt schon einmal da war, konnte ich mich ja mal nach ihrer Katzenverträglichkeit erkundigen und über einen kleinen Spaziergang würde sie sich bestimmt auch freuen.

So zogen wir also los und die kleine Fluse (so ihr Name im Tierheim) erwies sich als ruhige und freundliche Hündin, die auch mit Katzen keine Probleme zu haben schien. Eigentlich passte sie ja perfekt. So ein Ruhepol zu meiner manchmal etwas zur Hysterie neigenden Ersthündin Tiffy wäre sicher nicht schlecht.

Aber nein, als relativ junger und obendrein auch noch offenbar reinrassiger Hund würde sie sicher bald ein Zuhause finden. Und trotzdem fiel es mir ziemlich schwer, die Kleine wieder in den Zwinger zu bringen.

Genau genommen konnte sie ja auch wirklich nichts dafür, dass sie erst geschätzte 6 Jahre alt war. Laut Tierheimmitarbeiterin war ihr Alter wohl auch ein Problem bei der Vermittlung. Denn natürlich hatte sie mit ihrem Wuschelfell, der praktischen Größe und ihrem freundlichen Wesen durchaus Interessenten. Aber den meisten waren dann 6 Jahre eben doch schon zu alt. Und für Leute wie mich, die nach Oldies suchten, war sie zu jung.

In den kommenden Wochen führte mich eigentlich jede Woche eine Radtour in das hiesige Tierheim, immer mit der Hoffnung, das kleine wuschelige Hundefräulein wäre mittlerweile vermittelt. Aber nein, bei jedem Besuch saß sie immer noch in ihrem Zwinger. Allerdings traf ich dort recht bald auf ernsthafte Interessenten für die Kleine. Nun würde die süße Fluse also endlich vermittelt werden.

Ein bisschen wehmütig war ich schon, weil diese Hündin einfach etwas an sich hatte, das mich berührte. Aber ich freute mich von Herzen, dass sie nun bald ein Zuhause haben würde. Somit war das Thema eigentlich abgehakt.

Doch aus irgendeinem Grund ging mir die kleine Hündin trotzdem nicht so ganz aus dem Kopf. So kam es, dass ich kurz drauf noch einmal zu dem Tierheim fuhr, um mich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich vermittelt war und ich mir keine Gedanken mehr machen musste.

Aber weit gefehlt, da saß sie doch immer noch in ihrem Zwinger und biss ganz verzweifelt an den Gitterstäben rum – und damals hatte ich wirklich den Eindruck, dass sie mich dabei vorwurfsvoll anschaute. Heute weiß ich, dass sie diesen vorwurfsvollen Welt- untergangsblick auch durchaus als Mittel einsetzt, um eher profane Dinge für sich zu sichern.

Wagt man es zum Beispiel, ihr ein gewünschtes Leckerchen vorzuenthalten, dann schaut sie einen an, als würde ihre kleine Welt untergehen, wenn sie genau dieses Leckerchen nicht bekommt.

Na ja, vor 1,5 Jahren hat mich dieser Blick jedenfalls davon überzeugt, dass ich diesen Hund unbedingt aus diesem Zwinger adoptieren musste und dass dieser Hund mit diesem todtraurigen und zugleich vorwurfsvollen Blick auch wirklich genau mich meinte. Ich wollte nicht mehr Woche für Woche fassungslos darüber, dass offenbar niemand diese kleine Hündin wollte, vor ihrem Tierheimzwinger stehen und mich dann auch noch aus großen Hundeaugen vorwurfsvoll anstarren lassen.

Am liebsten hätte ich sie gleich mitgenommen, aber zuerst musste ich noch testen, ob meine Ersthündin sich mit ihr arrangieren konnte. Also wurde vereinbart, dass ich am Wochenende mit Tiffy zum Tierheim kommen sollte.

Als es dann so weit war und ich bei meinem Eintreffen am Tierheim zum ersten Mal nicht wünschte, dass die kleine Hündin vermittelt ist, befürchtete ich, dass genau jetzt Murphy’s Law zuschlagen und die Hündin tatsächlich nicht mehr in ihrem Zwinger sitzen könnte.

Dabei hatte ich ja noch am Vortag angerufen, um nachzufragen und da war sie noch nicht vermittelt gewesen. Aber man wusste ja nie. Vielleicht war genau in den 10 Minuten, die das Tierheim vor meinem Eintreffen schon geöffnet hatte, jemand gekommen, der sie direkt eingepackt hatte. Und war uns da nicht eben direkt am Tierheimparkplatz ein Auto entgegengekommen? Da hatte sie bestimmt drin gesessen…

Aber meine Sorgen waren natürlich unbegründet. Die kleine Fluse saß noch immer in ihrem Zwinger und warf mir einen extrem vorwurfsvollen Blick zu, von dem ich heute weiß, dass es eigentlich nur ihr typischer Schlechte-Laune-Blick ist, den sie gerne aufsetzt, wenn sie zum Beispiel morgens für ihre Begriffe zu früh geweckt wird. Damals hatte ich aber wirklich den Eindruck, sie würde genau mir vermitteln wollen, dass sie dort nur noch sitzen musste, weil ich mit meiner Entscheidung für ihre „Adoption“ so lange gezögert hatte.

Da die Zusammenführung der beiden Hunde relativ problemlos klappte, zog die kleine Lolita letztendlich doch bei mir – und zu dem Zeitpunkt war ich dann auch wirklich fest davon überzeugt, dass es richtig war.

Da sie ein Fundhund war, weiß ich nicht, wo sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbracht hat. Viel kennengelernt hatte sie da jedenfalls nicht. Auto fahren war Teufelswerk. Treppen waren unheimlich. Das ganze Wohnungsleben schien ihr nicht geheuer. Stubenreinheit war für sie ein Fremdwort. Usw. usf.

Da sie eigentlich kein wirklich ängstlicher Hund ist, sondern viele Dinge einfach nicht zu kennen schien, konnte sie sich relativ problemlos in meinen Alltag integrieren. Und dank des beträchtlichen Vertrauensvorschusses, den sie mir entgegenbrachte und ihrem dringlichen Wunsch, immer in der Nähe ihres Frauchens zu sein (der eigentlich immer größer als ihre Angst vor Ungewohntem war), hat sie auch für sie schwierige Situationen recht gut gemeistert.

Sie hat sich hier eingefügt, als hätte sie schon immer dazugehört. Nur die Waschmaschine, die beobachtet sie auch heute manchmal noch regelrecht ehrfürchtig. Aber sie flüchtet längst nicht mehr vor ihr, sondern sitzt beim Waschgang eher interessiert davor.

Okay, die Stubenreinheit war ein etwas größeres Projekt, da Lolita der Überzeugung war, dass ordentliche Hunde ihre kleinen und großen Geschäfte auf Fliesen erledigen. Ob es mit ihrer Herkunft zu tun hat? Ich weiß es nicht. Aber es mussten immer Fliesen sein.

Wenn sie anfangs merkte, dass es rausgehen sollte, schaute sie mich immer freundlich an, als wenn sie sagen wollte „Du warte mal kurz, ich muss vorher noch schnell“. Dann trippelte sie zielstrebig zu den Fliesen im Wohnzimmer, um dort zu tun, was Hund eben tun muss.

Da ihre Vorgänger Nelly und Simon beide inkontinent waren, war ich in Sachen Stubenreinheitserziehung wohl auch ein bisschen nachlässig. Um ehrlich zu sein, habe ich sogar ein paar Tage gebraucht, um mir darüber bewusst zu werden, dass dieses Verhalten meines Neuzugangs so nicht bleiben musste und dass es für Fortschritte in Sachen Stubenreinheit nicht förderlich ist, wenn man dem Hund, der sich gerade auf den Boden hockt, freundlich erklärt, dass ihre inkontinenten Vorgänger sicherlich stolz auf ihn wären.

Ich halte Lolita zwar für recht intelligent, aber sie mit dieser Form der Ironie zu konfrontieren, war sicherlich kontraproduktiv. So pieselte sie, dank Frauchens positiver Bestärkung, noch etwas längere Zeit und vermutlich immer der festen Überzeugung, genau das Richtige zu tun, eifrig auf die heimischen Fliesen.

Mittlerweile und nach vielen Loborgien für die auswärtige Erledigung hündischer Geschäfte und seitdem ich ihr nicht mehr irgendwelche netten Geschichten erzähle, wenn sie sich auf den heimischen Boden hockt, haben wir das aber gut im Griff.

Mittlerweile ist Lolita auch recht umweltsicher und selbstbewusst.
Der Rasenmäher, der ihr anfangs so große Angst gemacht hat, dass sie sich vor ihm in Nachbars Garten verstecken musste, wird von ihr mittlerweile selbstbewusst verbellt und sie hat es nicht einmal mehr nötig aufzustehen, wenn dieses blöde Gerät genau da entlang will, wo sie gerade liegt.

Und obwohl dieser kleine Hund mit 2 läppischen Kommandos, die er beherrscht (Nein und Stopp), genau genommen der am wenigsten erzogene Hund ist, den ich je hatte, fällt das überhaupt nicht auf. Sie ist einfach immer nur darum bemüht, in Frauchens Nähe zu sein und irgendwie alles so zu machen, dass weder sie noch andere Stress haben. Ich könnte jetzt behaupten, dass das bestimmt die Dankbarkeit eines kleinen, verlassenen Tierheimhundes ist. Aber ich glaube eher, dass Lolita schlichtweg schrecklich bequem ist und einfach nicht gerne Stress hat.

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Beim Spaziergang entfernt sie sich nie mehr als 5 Meter. Jagdtrieb ist für sie ein Fremdwort. Sie ist freundlich (wenn auch zurückhaltend) zu Menschen, Kindern, anderen Hunden, Katzen und allem was da kreucht und fleucht. Ihr scheint einfach nur wichtig zu sein, bei ihrem kleinen Rudel dabei sein zu können.

Anfangs habe ich mir deswegen wirklich Sorgen gemacht, weil ich dachte, sie müsste doch einfach ein bisschen mehr Hund sein. Im ersten halben Jahr war ich auch noch der festen Überzeugung, dass da noch das dicke Ende kommt, wenn sie erst einmal richtig angekommen ist. Mittlerweile lebt sie jetzt aber seit 1,5 Jahren bei mir und scheint ihre Lebensaufgabe eben darin gefunden zu haben, einfach ein reizender und freundlicher Hund zu sein.

Man kennt sie ja, diese Geschichten von Hunden, die man eigentlich gar nicht erziehen muss, weil sie so drauf erpicht sind, alles richtig zu machen. Ich habe diese Hunde immer für so eine Art modernes Märchen gehalten. Aber heute kann ich sagen: Ja, solche Hunde gibt es. Und es gibt sie auch im Tierschutz.

Und weil Lolita eben ein so netter Hund ist, hat sie mir letztendlich auch den Gefallen getan, etwas mehr Hund zu sein. Sie wälzt sich mittlerweile ganz hundetypisch liebend gerne in so schönen Dingen wie toten Fischen, Fuchsexkrementen o.Ä. Und nicht nur das, sie hat auch ihre Kollegin Tiffy (die so was früher nie interessiert hat) davon überzeugen können, dass das eine ganz tolle Sache ist.

Aber woher sollte Lolita auch wissen, dass mir vor meinem inneren Auge ein kleiner wuscheliger Hund vorschwebte, der ganz malerisch mit einem roten Ball auf einer grünen Wiese spielt, wenn ich mir wünschte, dass sie mal ein bisschen mehr Hund sein sollte?
Da ja zu den 2 Kommandos, die sie beherrscht, auch das Kommando „Nein“ zählt, ist das aber kein Problem.

Manchmal finde ich es ein bisschen schade, dass dieser Hund, der wirklich der optimale Anfängerhund gewesen wäre und der sicherlich so manchen Menschen mit Vorbehalten gegenüber Tierheimhunden davon hätte überzeugen können, dass auch absolut unkomplizierte Hunde im Tierschutz zu finden sind, letztendlich bei mir, einer regelrechten Tierschutzhund-Jüngerin, gelandet ist.

Ich glaube, Lolita ist vom Wesen her genau der Hund, der vielen Leuten vorschwebt, die sich einen Familienhund anschaffen möchten und meinen, dass es ein Welpe sein muss, damit man ihn zu einem netten und zu allen freundlichen Hund erziehen kann, der ohne Probleme auch ohne Leine einfach so mitläuft.

Ich hätte es schön gefunden, wenn solche Hundefreunde der kleinen Tierheim-Fluse eine Chance gegeben hätten. Sie hätten mit ihr einen optimalen Familienhund bekommen, der ihnen sicherlich viel Freude bereitet hätte.

Aber letztendlich bin ich natürlich froh, dass aus mir unerfindlichen Gründen keiner diesen Hund adoptiert hat. Denn ich möchte sie auf keinen Fall mehr missen.

19.12.2012

21.12.2012


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