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Ernesto

Wenn ich mir früher Gedanken über eine Katze gemacht habe, dann dachte ich dabei immer an eine alte und eher gebrechliche Katze, die hier gemütlich auf der Couch liegen und einen geruhsamen Lebensabend verbringen sollte.

Lange Zeit war aber an eine Katze gar nicht zu denken, weil meine mittlerweile verstorbene Hündin Lisa Katzen „zum Fressen gern hatte“. Wobei diese Formulierung eher ein Euphemismus für Lisas Verhältnis zu Katzen ist. Ich würde sagen, sie hat Katzen einfach abgrundtief gehasst und hätte sie nach dem Erlegen eher angewidert ausgespuckt.

So war sie eben, meine Lisa.

Als sich nach Lisas Tod herausstellte, dass ihre hündische Nachfolgerin Nelly überhaupt kein Problem mit Katzen hatte und ich einer der zahllosen herrenlosen Katzen ein Zuhause geben konnte, äußerte ich gegenüber einer in Sachen Katzenschutz aktiven Nachbarin, dass sie sich bei einem der nächsten Katzen-Notfälle vertrauensvoll an mich wenden könnte.

Dabei hatte ich die alte, eher gebrechliche und gemütliche Katze im Sinn, die hier auf weichen Plätzen ruhend, laut schnurrend eine wohlige Atmosphäre verbreiten würde und die jetzt, wo ich mich konkret mit dem Gedanken an eine Katze in meinem Leben beschäftigte, immer öfter vor meinem inneren Auge auftauchte und so schon fast eine alte Bekannte geworden war.

Der Notruf meiner Nachbarin ließ nicht lange auf sich warten. Ein kleiner Grautiger wäre in Not und bräuchte Hilfe. Vor meinem inneren Auge sah ich beim Gedanken an „meine“ Katze zwar immer eine große Katze mit einem großen Resonanzkörper (damit das zufriedene Schnurren möglichst gut zu hören ist), aber dann würde es eben eine kleine alte Katze werden

Dass klein im Sinne von jung gemeint gewesen sein könnte, auf die Idee kam ich zunächst gar nicht. Junge Katzen waren schließlich keine Notfälle – dass die Realität leider eine andere ist, war mir vor Ernestos Adoption nicht bewusst.

Da die Beziehung zu meiner imaginären Katze, die mich immer öfter vor meinem inneren Auge besuchte, noch nicht so weit herangereift war, dass ich mir Gedanken darüber gemacht hätte, ob meine Katze eher zutraulich oder scheu sein würde, störte es mich auch nicht weiter, als es hieß, dass mein zukünftiger kleiner Grautiger nicht unbedingt handzahm sei. Der kleine Kater war nicht so richtig an Menschen gewöhnt.

Er war mit seiner Mutter bei einer Futterstelle zugelaufen, wo er nicht bleiben konnte, weil nur die bereits an der Futterstelle vorhandenen Katzen und dann eben noch die Mutter meines zukünftigen Katers (nach erfolgter Kastration) von den Eigentümern des Grundstücks geduldet wurden.

Obwohl man mir gegenüber durchaus erwähnt hatte, dass der Kleine gerade mal ein paar Monate alt war, aber eben nicht mehr jung genug, um als süßes Katzenkind relativ problemlos ein zu Hause zu finden, war es für mich irgendwie nicht wirklich vorstellbar, dass ein junger Kater ein solcher Notfall sein kann, dass man nicht weiß, wohin mit ihm. Im Geiste bekam ich also eigentlich immer noch eine alte Katze.

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Dass bei mir ein junger Kater einziehen würde, habe ich erst so richtig begriffen, als ich meinen kleinen Grautiger das erste Mal sah. Wie er da saß, klein und verschüchtert, war ich wirklich direkt verliebt und hätte von genau dem Moment an keine andere Katze als meinen Ernesto mehr haben wollen.

Aber bis bei dem Gedanken an meine Katze vor meinem inneren Auge keine alte, kranke, große und eher dickliche Katze mehr erschien, sondern ein junger, gesunder und schlanker Ernesto, hat es erstaunlicherweise noch relativ lange gedauert – Allerdings ist Ernesto mittlerweile zu einem großen Kater herangewachsen und zum Winter hin wird er zuweilen auch schon mal ein wenig dicklich.

Letztendlich bin ich froh, dass mein Gehirn sich damals aus irgendeinem Grund geweigert hat, die Information, dass der angekündigte kleine Kater vor allem ein junger Kater sein würde, wirklich aufzunehmen. Vielleicht hätte ich meinen Ernesto sonst gar nicht aufgenommen…

Noch immer ist der Gedanke, dass es schon bei der Vermittlung junger, gesunder Katzen so große Probleme gibt, dass so ein tolles Tier wie mein Ernesto als eher scheuer Grautiger als Notfall gilt, für mich wirklich beklemmend.

Wie viele Ernestos mag es geben, die draußen geboren und nicht an den Menschen gewöhnt wurden, die nirgendwo wirklich erwünscht sind und wegen ihrer Scheu kaum eine Chance auf Vermittlung haben?  Und wie viele von ihnen kommen durch unbehandelte Krankheiten, Autos, Jäger etc. um? Was wäre aus meinem Ernesto geworden, wäre er nicht in der Obhut von Menschen gelandet?

Er ist ein wirklich toller Kater und ich möchte ihn nicht missen. Aber genau genommen wäre es besser gewesen, wenn seine Mutter gar nicht erst trächtig geworden wäre. Es gibt einfach zu viele herrenlose Katzen und zu wenig Plätze, wo sie leben können. Und darum möchte ich an dieser Stelle nicht nur von meinem großen kleinen Grautiger Ernesto berichten, sondern auch einen leidenschaftlichen Appell an alle Halter von Freigängerkatzen richten, ihre Katzen unbedingt kastrieren zu lassen.

Wäre es für meinen Ernesto besser, wenn er heute als verwilderte Hauskatze ohne Zuhause leben würde? Würde er überhaupt noch leben? Wäre er dann vielleicht glücklicher?

Wirklich beantworten kann ich diese Frage nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er sein Leben, so wie es jetzt ist, gar nicht so übel findet. Und wenn ich an die eisigen Winter in den letzten Jahren denke, in denen selbst mein so unglaublich freiheitsliebender Ernesto keinen Schritt vor die Tür gesetzt hat, dann denke ich, es ist gut, dass er ein Zuhause hat.

Wenn ich sehe, wie so manche Katze, die sich draußen alleine durchschlagen musste, völlig ausgemergelt und krank im Tierschutz landet, auch dann denke ich, dass es gut ist, wenn eine Katze ein Zuhause oder zumindest einen Zufluchtsort in Form einer Futterstelle o.Ä. hat.

Nachdem Ernesto sich nach geschlagenen vier Monaten endlich mit seiner Katzenklappe angefreundet hat, kann er mittlerweile kommen und gehen, wie er will. Er kriegt seine täglichen Schmuseeinheiten. Er wird – allerdings gegen seinen ausdrücklichen Willen – medizinisch versorgt, bekommt regelmäßig Futter und wenn er mag, kann er gerne laut schnurrend in der Wohnung herumliegen und wohlige Atmosphäre verbreiten. Aber das macht er nur im Winter oder wenn es wie aus Eimern schüttet. Ansonsten ist er wirklich viel draußen.

Oft sitzt er auch einfach nur draußen auf der Fensterbank und tut gar nichts, außer Frauchen durch das Fenster anzustarren und ihr telepathisch zu vermitteln, dass sein Futternapf dringend gefüllt werden muss.

Die erste Zeit war für den kleinen Ernesto sicher nicht einfach.
Er war aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen worden und er, der nur das Leben draußen kannte, hatte erst einmal Hausarrest. Er tat mir schrecklich leid, wie er die ersten Tage fast ausschließlich verängstigt unter dem Bett verbrachte. Aber welche Alternativen hätte es für ihn gegeben? Er hätte so oder so nicht an dem Platz bleiben können, der für ihn wohl sein Zuhause war.

Vor diesem Hintergrund denke ich, dass er es mit seiner Zwangsumsiedlung zu mir dann doch ganz gut getroffen hat. Allerdings bedaure ich heute im Rückblick sehr, dass ich aus Rücksicht auf nicht ganz so katzenbegeisterte Anwohner zusammen mit Ernesto nicht direkt eine zweite Katze aufgenommen habe.

Mit einer zweiten Katze wäre die Eingewöhnungszeit mit Hausarrest für ihn sicher ein- facher gewesen und ich hätte jetzt nicht einen Kater, der die Flucht ergreift, wenn eine andere Katze bei uns in der Wohnung ist.

Ernesto hat relativ schnell Zutrauen zu mir gefasst und ich war auch nie eine der Katzenhalterinnen mit junger Katze, die ständig Shirts mit langen Armen tragen müssen, weil sie völlig zerkratzt sind. Und das nicht, weil ich nicht mit ihm gespielt hätte, sondern weil er beim Spielen einfach nie seine Krallen ausgefahren hat.

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Er ist auch der Typ Katze, der beim Anblick der Tablette für die Wurmkur (zwar mit Todesverachtung im Blick) brav das Mäulchen aufsperrt und gar nicht auf die Idee kommt, sich aus meinem Griff zu winden.

Aber ich will ehrlich sein. Wir hatten auch so unsere Problemchen.
Während seiner Eingewöhnungsphase, in der er im Haus bleiben musste, hat Ernesto mir zum Beispiel täglich durch mehrmaliges Protestpinkeln ebenso deutlich wie vehement und sicher auch mit einer gehörigen Portion Verzweiflung zu verstehen gegeben, dass er lieber draußen sein möchte. Kann man es ihm verübeln?

Das da draußen vor dem Fenster war das Leben, das er kannte. Im Haus war alles fremd und beängstigend. Seine Art des Protests war ja die einzige Möglichkeit, die er hatte, um seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Glücklicherweise hat er sich für seinen Protest ein Zimmer ausgesucht, das ohnehin renoviert werden sollte und zu dem Zeitpunkt nicht genutzt wurde (und wegen seines jungen Alters war auch die Sache mit dem Geruch nicht dramatisch). So hat er zwar einen Teppich komplett ruiniert, aber der sollte ja ohnehin raus.

Nach der Eingewöhnungszeit und erfolgter Kastration durfte er dann erstmals zum Sonnen auf das Flachdach vor meinem Wohnzimmerfenster, da das Treppenhaus als Weg nach draußen ihm noch Angst machte.

Er lag stundenlang auf dem Flachdach herum und machte keine Anstalten, vom Dach zu springen o.Ä. Also ließ ich ihm auch hin und wieder nachts das Fenster auf, damit er sich auf „seinem“ Dach ein bisschen frischen Wind um die Nase wehen lassen konnte. Und genau zu dem Zeitpunkt, wo er kurz davor war, das von ihm offenbar gewünschte Leben als Freigänger führen zu können, schien er ernsthaft krank zu werden.

Er schlief eigentlich nur noch, lag schlapp herum und seine sonst so geliebten Spiel- stunden entlockten ihm nur noch ein müdes Augenblinzeln.

Die Transportbox für einen Check beim Tierarzt stand schon hinter einer Tür versteckt bereit (wenn er die Box sieht, weiß er, dass er da rein muss und Dinge geschehen, die ihm nicht wirklich gefallen, nämlich Auto fahren und Tierarztbesuche – da kommt er dann vorsichtshalber nur noch mitten in der Nacht nach Hause bzw. damals noch hinter dem Kleiderschrank hervor).

Doch bevor die Box zum Einsatz kam, fand ich eine tote Maus im Körbchen meines Hundes. Und da Nelly, so blind und taub wie sie war, keine Maus erlegt und in ihr Körbchen gelegt haben konnte, konnte es eigentlich nur Ernesto gewesen sein. Eigentlich konnte er diese Maus auch nur draußen gefangen haben.

Also blieb ich am nächsten Abend auf der Lauer und glaubte kaum, was ich das sah:
Mein eher zurückhaltender und ängstlicher Ernesto benutzte ganz selbstbewusst eine Kombination aus Terrassengrill und Baum als Passage nach unten vertrieb mit der allergrößten Selbstverständlichkeit eine fremde Katze von „seinem“ Hof.

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Seitdem er seinen Freigang hat, ist er einfach nur noch ein ganz entzückender Mitbewohner, der nie wieder die Wohnung als Katzenklo benutzt hat und der meiner Hündin Nelly regelmäßig erlegte Mäuse von seinen Streifzügen mitbrachte.

Als nach ihrem Tod der ebenfalls blinde und taube Hund Simon hier einzog, wurde auch er regelmäßig mit erlegten Mäusen versorgt, die ihm ebenso säuberlich in seinen Korb gelegt wurden wie zuvor der kleinen Nelly.

Erstaunlicherweise hat Ernesto meinen anderen Hunden, die nicht behindert sind, noch nie eine Maus mitgebracht – nicht eine einzige.

Ich weiß, es ist schrecklich vermenschlichend und Ernesto wird seine ihm eigenen katzenlogischen Gründe für sein Verhalten haben, die mit meiner Interpretation, dass er sich ganz fürsorglich um die Hunde gekümmert hat, die sich ganz offensichtlich nicht selbst versorgen konnten, sicher nichts zu tun hat, aber so leid es mir für diese Mäuse tat, ich fand diese Geschenke immer irgendwie anrührend.

Jede dieser Mäuse hat mich aber auch daran erinnert, warum vor meinem geistigen Auge immer eine alte, kranke, dickliche und zum Jagen nicht mehr fitte Katze erschien, wenn ich mir Gedanken über die Anschaffung einer Katze machte. Und wenn Ernesto nicht von draußen gekommen wäre und mir nicht mit der ihm eigenen Deutlichkeit und Vehemenz zu verstehen gegeben hätte, dass er unbedingt Freigang braucht, wäre er vermutlich auch Wohnungskatze geworden.

Aber solange Katzen wie mein Ernesto durch unkontrollierte Vermehrung draußen geboren und ohne Gewöhnung an den Menschen von ihren Müttern aufgezogen werden, solange muss man diesen Katzen dann eben auch Freigang gewähren, wenn sie in menschliche Obhut kommen.

Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, noch eine alte, kranke, große und eher dickliche Katze – also die alte Bekannte, die immer vor meinem inneren Auge erschien – aufzunehmen. Doch dummerweise hat Ernesto Angst vor anderen Katzen in seinen Räumlichkeiten und sucht dann eher das Weite.

Manchmal überlege ich auch, ob ich ihm zur Gewöhnung an eine weitere Katze nicht einfach wieder ein paar Wochen Hausarrest verpassen soll. Aber schon wieder renovieren?

Also wird er vermutlich Einzelkatze bleiben und irgendwann wird mein Ernesto mich vom Sofa aus ansehen und ich werde erkennen, dass er alt geworden ist, weil er dann vermutlich genau die alte, große und eher dickliche Katze sein wird, die ich von meinem inneren Auge her schon so lange kenne.

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Ich bin mir sicher, dass ich es dann keinen einzigen Tag bereut haben werde, einen kleinen scheuen Grautiger aufgenommen zu haben und ich hoffe sehr, dass Ernesto dann auf ein erfülltes Leben zurückblicken wird.
 

01.12.2012

03.12.2012


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